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Justizverwaltungs­vorschriften-Online

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Verwaltungsvorschrift zum Umgang mit ansteckenden Erkrankungen in Justizvollzugseinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen
AV d. JM vom 3. Mai 2012 (4551 - IV.23)
- JMBl. NRW S. 107 -

1.
Information und Aufklärung über ansteckende Erkrankungen


Alle Bediensteten und Gefangenen in den Justizvollzugsanstalten sind über bedeutsame ansteckende Infektionskrankheiten zu informieren. Dabei sind die durch Blut bzw. mittels Blutkontakten übertragbaren Infektionskrankheiten und die HIV-Infektion vorrangig zu beachten. Insbesondere ist über Ansteckungsrisiken, Übertragungswege und geeignete Schutzmaßnahmen aufzuklären. Information und Aufklärung sind zu aktualisieren. Die Fachdienste sind in die Maßnahmen einzubinden. Bedarfsweise können auch externe Institutionen und Einrichtungen beteiligt werden.

1.1
Informationsblatt
Allen Gefangenen ist hierzu bei der Aufnahme in den Justizvollzug ein standardisiertes landeseinheitliches Informationsblatt auszuhändigen, das in zwanzig verschiedenen Sprachen im Justizintranet zur Verfügung steht (Anlage 1). Das Informationsblatt ist mit den erforderlichen anstaltsspezifischen Ergänzungen zu versehen.

1.2
Erstinformation
Bei der Aufnahme in Einrichtungen des Justizvollzuges wird den Inhaftierten das Informationsblatt gemäß Ziffer 1.1 ausgehändigt. Dadurch werden die Inhaftierten   darüber in Kenntnis gesetzt, dass bei jedem Mitgefangenen, mit dem er gemeinschaftlich untergebracht wird, eine infektiöse Erkrankung, wie z. B. eine Infektion mit Hepatitis-Erregern oder eine HIV-Infektion, vorliegen kann, die u.a. durch
* ungeschützte Sexualkontakte,
* Blutkontakte,
* die Haut oder die Schleimhaut durchdringenden Kontakt mit Blut oder anderen Körpersekreten,
* gemeinsame Nutzung von Utensilien zum Drogenkonsum,
* Tätowieren
übertragen werden kann. Weiter wird er darüber informiert, dass eine Infektionsübertragung bei allgemeinen sozialen Kontakten weitgehend ausgeschlossen ist.

1.3
Erklärung
Die Inhaftierten bestätigen mittels einer standardisierten Erklärung (Anlage 2) durch Unterschrift den Empfang des Informationsblattes. Sie verpflichten sich, hiervon Kenntnis zu nehmen und sich bei Fragen an die zuständigen Fachdienste zu wenden. Unterbleibt die Unterschrift, ist dies zu dokumentieren.

2.
Medizinische Diagnostik bei Inhaftierung


Allen Inhaftierten ist bei der Erstaufnahme die im Einzelfall erforderliche geeignete Diagnostik zur Feststellung von Infektionskrankheiten anzubieten. Eine serologische Erstdiagnostik einer Hepatitis- und HIV-Infektion ist regelmäßig anzubieten. Inhaftierte, die bei der Erstaufnahme keine serologische Erstdiagnostik wünschen, können die Diagnostik zu einem späteren Zeitpunkt nachholen lassen. Kontrolluntersuchungen sind nach Maßgabe des medizinischen Erfordernisses anzubieten. Bei bereits bekanntem Infektionsstatus erfolgen die indizierten Untersuchungen. Ansonsten richtet sich die Diagnostik nach dem medizinisch-fachlichen Erfordernis. Näheres obliegt der fachlichen Einschätzung der behandelnden ärztlichen Kraft. Vor Durchführung der serologischen Erstdiagnostik einer Hepatitis- und HIV-Infektion hat eine ärztliche Beratung im Hinblick auf die Durchführung der Diagnostik und die vollzuglichen und medizinischen Konsequenzen eines positiven Testergebnisses zu erfolgen.

3.
Medizinische Beratung, Betreuung und Behandlung HIV- infizierter Gefangener


Bei erstmaliger Feststellung einer HIV-Infektion während der Inhaftierung sind den Betroffenen Beratungsangebote zu unterbreiten, die alle Lebensumstände und die erforderlichen medizinischen Maßnahmen umfassen. Die Beratung erfolgt durch die Fachdienste der Justizvollzugseinrichtung, insbesondere durch den ärztlichen Dienst und den Suchtberatungsdienst. Bei Bedarf oder auf Wunsch des Inhaftierten ist der psychologische, seelsorgerische und Sozialdienst zu beteiligen. Das Beratungsangebot soll offensiv und mehrfach unterbreitet werden. Daneben sind Inhaftierte auf bestehende externe Beratungs- und Betreuungsangebote hinzuweisen. Wünschen sie eine Betreuung durch externe Einrichtungen, ist diese zu vermitteln. Bei Vorliegen einer HIV-Infektion sind durch den anstaltsärztlichen Dienst die erforderlichen weiteren diagnostischen und angezeigten therapeutischen Maßnahmen zu veranlassen. Eine Vorstellung in der hierzu eingerichteten Ambulanz des Justizvollzugskrankenhauses Nordrhein-Westfalen ist regelmäßig erforderlich.

4.
Unterrichtung der Anstaltsleitung und Bediensteter bei bekannt werdenden Infektionen von Inhaftierten


4.1
Gesetzliche Grundlagen
Die Leitung einer Justizvollzugsanstalt trägt die Verantwortung für den gesamten Vollzug (§ 156 Abs. 2 Satz 2 Strafvollzugsgesetz). Sie ist verantwortlich für Regelungen, die zur Abwehr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Rechte einer anderen Person (gesundheitlicher Schutz von Mitgefangenen und Bediensteten) erforderlich sind. Aus diesem Grunde sind Bedienstete verpflichtet, die Anstaltsleitung unverzüglich zu unterrichten, wenn sie Erkenntnisse zu einer von Inhaftierten ausgehenden Infektionsgefahr erlangen. § 182 Absatz 2 StVollzG verpflichtet auch die Anstaltsärztin und den Anstaltsarzt, die im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsfürsorge, z. B. bei serologischen Untersuchungen, bekannt gewordenen Befunde zu offenbaren, soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde unerlässlich ist. § 182 Absatz 3 StVollzG befugt die Anstaltsleitung wiederum, die mitgeteilten Daten Anstaltsbediensteten zugänglich zu machen, soweit dies - unter anderem zur Gefahrenabwehr - erforderlich ist.

4.2
Maßnahmen der Anstaltsleitung
Die Anstaltsleitung veranlasst das nach § 8 Abs. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) Erforderliche.
Die Anstaltsleitung veranlasst weiterhin die Kennzeichnung  des im IT-Verfahren BASIS-Web anzulegenden Personalblattes (A-Bogen) mit der Bemerkung "Infektionsgefahr bei Blutkontakt". Sie regelt darüber hinaus in eigener Zuständigkeit, wie zu verfahren ist, wenn bei vollzuglichen Entscheidungen (z. B. bei dem Erfordernis einer Postexpositionsprophylaxe nach Ansteckungsverdacht) weitergehende Kenntnisse (der Diagnose) benötigt werden. Dies richtet sich nach den Erfordernissen des Einzelfalles. Die Regelung ist so auszugestalten, dass bei Bedarf die Information ohne Verzug zur Verfügung steht. Die Unterrichteten sind ausdrücklich auf ihre Schweigepflicht, auch innerhalb der Behörde, hinzuweisen.

5.
Impfmaßnahmen und Postexpositionsprophylaxe


Bedienstete und Inhaftierte sind auf die Möglichkeit einer aktiven Immunisierung gegen Infektionskrankheiten hinzuweisen. Maßgeblich sind die jeweils aktuellen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO). Die Kosten der danach indizierten Impfungen trägt die Justiz. Eine medikamentöse Postexpositionsprophylaxe und eine ggf. zusätzlich mögliche aktive und passive Immunisierung sind u.a. nach einer möglichen HIV- oder Hepatitis-B Übertragung in Erwägung zu ziehen. Auf die insoweit veröffentlichte Empfehlung des Robert-Koch-Institutes (RKI) wird verwiesen.
Näheres ist in örtlicher Zuständigkeit durch die Anstaltsleitung in Abstimmung mit dem anstaltsärztlichen Dienst festzulegen.

6.
Unterbringung, Arbeit und Transport


Im geschlossenen Vollzug sind Gefangene, bei denen die Kennzeichnung  des Personalblattes mit der Bemerkung "Infektionsgefahr bei Blutkontakt" erforderlich ist, vorrangig in Einzelhafträumen unterzubringen. Eine gemeinschaftliche Unterbringung kommt in Betracht, wenn nach der Persönlichkeit, dem Verhalten und der Lebensweise der Betroffenen eine Gefährdung von Mitgefangenen nicht zu besorgen ist. Der anstaltsärztliche Dienst und bedarfsweise andere Fachdienste sind zu beteiligen.
Widersprechen Inhaftierte schriftlich einer gemeinschaftlichen Unterbringung mit Inhaftierten, bei denen eine Kennzeichnung des Personalblattes mit der Bemerkung "Infektionsgefahr bei Blutkontakt" erforderlich ist, soll dem im Regelfall Rechnung getragen werden. Beim Transport und in den geschlossenen Bereichen des offenen Vollzuges sind die vorstehenden Regelungen sinngemäß anzuwenden. Darüber hinaus gehende Einschränkungen z.B. bei abteilungsinterner Freizügigkeit, Freizeitbeschäftigungen, Sport, bei Abwicklung des Besuchs sowie Urlaub oder Lockerungen sind nicht angezeigt. Alle Gefangenen nehmen grundsätzlich am allgemeinen Arbeitseinsatz teil. Einschränkungen sind möglich gemäß bestehender rechtlichen Bestimmungen (z.B. nach dem Infektionsschutzgesetz oder auf Grund von Unfallverhütungsvorschriften). Näheres richtet sich nach dem Einzelfall. Die betriebsärztliche Kraft und die Fachkraft für Arbeitssicherheit sind zu beteiligen.

7.
Sonstiges


7.1
Das Tätowieren ist nachdrücklich zu unterbinden.

7.2
Allen Gefangenen im Männervollzug (einschließlich Jugendvollzug) sind Kondome und wasserlösliche Gleitmittel zu Lasten des Justizhaushalts zur Verfügung zu stellen. Die Kondome und Gleitmittel sind an geeigneten Stellen zur Entnahme auszulegen. Näheres ist in örtlicher Zuständigkeit durch die Anstaltsleitung festzulegen.

7.3
Als Schutzmaßnahme gegen Blut- und Sekretkontakte sind allen Bediensteten Einmal - Schutzhandschuhe in ausreichender Zahl auszuhändigen. Transportfahrzeuge sind entsprechend auszustatten. Für Notfälle sind Beatmungsmasken vorzuhalten.

7.4
Jeweils einmal jährlich ist bis zum 31.03. eines Jahres - aufgeschlüsselt nach männlichen und weiblichen Gefangenen - nach dem als Anlage 3 beigefügten Formblatt zu berichten.

8.
Anlagen


Folgendes ist als Anlage zu dieser AV genommen worden:
* Anlage 1: Informations- und Merkblatt zur Erkennung und Betreuung drogenabhängiger Gefangener
* Anlage 2: Erklärung des Inhaftierten zum Empfang des Informations- und Merkblattes zur Erkennung und Betreuung drogenabhängiger Gefangener
* Anlage 3: Formblatt

9.
Aufhebung von Erlassen


Folgende Erlasse werden aufgehoben:
Erl. vom 13.01.1988 (4551-IV.23),
Erl. vom 28.06.1994 (4551-IV.17),
Erl. vom 11.03.1998 (4551-IV.23),
Erl. vom 29.07.2002 (4551-IV.23),
Erl. vom 02.02.2007 (4551-IV.23),
Erl. vom 08.02.2008 (4551-IV.23).

10.
Inkrafttreten


Diese Verwaltungsvorschrift tritt am 01.06.2012 in Kraft.