/WebPortal_Relaunch/Service/mediathek_neu

Bücherstapel
© panthermedia.net / Mitar gavric

Justizverwaltungs­vorschriften-Online

Eine Datenbank der Justiz Nordrhein-Westfalen
Die Justizverwaltungsvorschriften in einer Datenbanklösung mit komfortabler Volltextsuche.

Richtlinien
für das Pädagogische Zentrum
bei der Justizvollzugsanstalt Münster
RV d. JM vom 23. Juli 2012 (4562 - IV. 10)

1.
Zielsetzung


Im Pädagogischen Zentrum werden zentral für das Land Nordrhein-Westfalen Kurse für männliche Strafgefangene des Erwachsenenvollzugs zur Vorbereitung auf einen Schulabschluss durchgeführt. Weitere Schwerpunkte sind Kurse mit beruflicher Ausrichtung einschließlich informations- und kommunikationstechnischer Bildung.
Einer Vielzahl von Inhaftierten fehlen sowohl die schulischen als auch die sozialen Kompetenzen für das Erlernen einer qualifizierten Berufstätigkeit. Häufiges Schulversagen und die Gewöhnung an Misserfolge haben sich negativ auf ihr Selbstwertgefühl und ihre Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft ausgewirkt.
Es sollen neben schulischem Wissen auch positive Lernerfahrungen vermittelt werden, um das Erleben von Selbstwirksamkeit zu fördern. Dies trägt zur Stärkung der Durchhaltefähigkeit sowie zu einem angemessenen Verantwortungs- und Selbstbewusstsein bei. Ebenfalls sollen soziale Kompetenzen, wie Konfliktfähigkeit und Gruppenfähigkeit, gefördert werden.

2.
Bildungsangebote des Pädagogischen Zentrums


2.1
Im Pädagogischen Zentrum werden Gefangene vorbereitet auf

* den Hauptschulabschluss nach Klasse 9,
* den Hauptschulabschluss nach Klasse 10,
* den mittleren Schulabschluss (Fachoberschulreife) und
* die Fachhochschulreife/ Allgemeine Hochschulreife (Abitur).

Die Unterrichtsmaßnahmen werden in Form des Vollzeitunterrichts durchgeführt.
Darüber hinaus werden Kurse zur Berufsfindung und  -orientierung mit der Möglichkeit, den Hauptschulabschluss zu erwerben, angeboten. Außerdem kann im Rahmen einer schulischen Vollzeitmaßnahme der Europäische Computerführerschein (ECDL) erworben werden.

2.2
Die Schulabschlusskurse bilden ein aufeinander aufbauendes und untereinander durchlässiges System von bis zu sechs Semestern.

2.3
Die Kurse beginnen mit Ausnahme des Abiturkurses im Januar und im Juli eines jeden Jahres. Der Abiturkurs beginnt jeweils alle drei Jahre nach den Sommerferien.

2.4
Die Schulabschlüsse werden nach den Vorschriften des Ministeriums für Schule und Weiterbildung über die Externenprüfung erworben.

Die Prüfungen finden jeweils vor den Sommerferien eines jeden Jahres statt.

3.
Behandlung


Die Gefangenen sollen ihre Stärken sowohl im kognitiven als auch im psychomotorischen Bereich erfahren, entwickeln und weiter ausbauen. Deshalb werden auch handwerkliche Fähigkeiten im Unterricht geschult.

Die Gefangenen werden wohngruppenähnlich untergebracht, um ihre Fähigkeiten zur Selbstorganisation und ihre Gemeinschaftsfähigkeit zu stärken. Dies setzt unter anderem voraus, dass die Haftraumtüren zu bestimmten Zeiten geöffnet sind. Wann und in welchem Umfang dies der Fall sein soll, regelt das Pädagogische Zentrum.

Des Weiteren können Behandlungs- und Betreuungsangebote der Justizvollzugsanstalt Münster wahrgenommen werden.

4.
Zulassungskriterien


4.1
Der Gefangene darf nicht im Besitz des Abschlusses sein, den er anstrebt.
Dies muss durch ein Abgangs- oder Abschlusszeugnis der zuletzt besuchten allgemein bildenden Schule belegt werden. Die Regelungen des Ministeriums für Schule und Weiterbildung über die Anerkennung und Zuerkennung von Schulabschlüssen sind zu beachten.

4.2
Der Gefangene soll bei Übernahme in das Pädagogische Zentrum mindestens den Wissensstoff des 8. Schuljahres der Hauptschule beherrschen.

4.3
Der Gefangene soll

* über eine mindestens durchschnittliche Intelligenz verfügen, die mit Hilfe von anerkannten Intelligenztests festzustellen ist,
* eine angemessene Leistungsfähigkeit und -bereitschaft besitzen,
* über ausreichende Belastbarkeit und
* hinreichendes Durchhaltevermögen verfügen sowie
* gemeinschaftsfähig sein.

4.4
In welches Semester eines Abschlusskurses der Gefangene aufgenommen wird, richtet sich nach dem Leistungsstand und dem angestrebten Abschluss. Zur Vorbereitung auf eine Berufsmaßnahme kann in besonderen Fällen eine Teilnahme an einer Schulmaßnahme ohne Abschluss erfolgen.
Die Aufnahme in einen laufenden Kurs ist möglich.

4.5
Die unter Berücksichtigung der §§ 57, 57a StGB zu berechnende voraussichtliche Vollzugsdauer muss für die angestrebte Maßnahme ausreichen.

4.6
Ungeeignet für die Aufnahme in das Pädagogische Zentrum sind Gefangene, die

* krankhaft psychisch gestört sind,
* eine ausgeprägte Neigung zu aggressivem Verhalten zeigen,
* fluchtverdächtig sind,
* in einem Gemeinschaftshaftraum untergebracht werden müssen oder
* nicht am Behandlungsziel mitarbeiten.

4.7
Einer besonderen Prüfung bedarf es bei einem Gefangenen, gegen den ein Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig ist und bei Sicherungsverwahrten.

5.
Aufnahmeverfahren


5.1
Das Pädagogische Zentrum unterrichtet die Einweisungsanstalt, die Justizvollzugsanstalten, die an das Einweisungsverfahren für männliche Strafgefangene des Erwachsenenvollzuges angeschlossen sind, und andere Justizvollzugsanstalten einmal jährlich über die Gesamtplanung der Kurse.

5.2
Die Justizvollzugsanstalten unterrichten die in Frage kommenden Gefangenen über die Möglichkeiten und die Voraussetzungen einer Teilnahme an den Schulabschlusskursen im Pädagogischen Zentrum und wählen die Bewerber nach den Zulassungskriterien (Nr. 4) aus.

Bei einem Gefangenen, für den in der Einweisungsentscheidung der Einweisungsanstalt die Verlegung in das Pädagogische Zentrum zu einem späteren Zeitpunkt empfohlen wurde, kann von der Prüfung nach Nr. 4.2 und 4.3 abgesehen werden.

5.3
Die Justizvollzugsanstalten teilen dem Pädagogischen Zentrum die Namen der Bewerber mit. Den Mitteilungen sind die auf den jeweiligen Zeitpunkt fortgeschriebenen Vollzugspläne, Stellungnahmen gemäß Nr. 4.2 und 4.3 dieser Richtlinie, die Schulzeugnisse sowie die vollständigen Gefangenenpersonalakten beizufügen.

Das Pädagogische Zentrum kann in den abgebenden Anstalten ergänzende Feststellungen zu den Auswahlkriterien treffen, wenn nach den vorgelegten Unterlagen ein Bedürfnis hierfür besteht.

5.4
Über die Aufnahme der Gefangenen in das Pädagogische Zentrum entscheidet die Anstaltsleitung nach pflichtgemäßem Ermessen. Sie kann die Entscheidung auf die Abteilungsleiterin oder den Abteilungsleiter des Pädagogischen Zentrums übertragen oder sich die Entscheidung über die Aufnahme eines Gefangenen im Einzelfall vorbehalten. Die Abteilungsleitung teilt den abgebenden Justizvollzugsanstalten die Entscheidung und ggf. den Zeitpunkt der Aufnahme mit.
Wird die Aufnahme eines Gefangenen abgelehnt, werden der Justizvollzugsanstalt, die den Gefangenen benannt hat, die Gründe hierfür schriftlich mitgeteilt.

6.
Verlegung


6.1
Nach Ablegen der Prüfung wird der Gefangene alsbald in die für ihn in Betracht kommende Justizvollzugsanstalt verlegt. Dabei wird insbesondere, unter Berücksichtigung der erworbenen Qualifikationen, die Verlegung des Gefangenen in eine andere Justizvollzugsanstalt zwecks Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme geprüft.

6.2
Eine Verlegung vor Beendigung einer Maßnahme ist möglich bei einem Gefangenen, der
* den schulischen Leistungsanforderungen oder den Anforderungen nach Nr. 4.3 nicht genügt,
* sich gemäß Nr. 4.6 als ungeeignet erweist,
* für längere Zeit an den Kursen nicht teilnimmt oder
* erheblich gegen die Hausordnung verstößt.

7.
In-Kraft-Treten

Die Neufassung tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Sie ersetzt die RV d. JM vom 30. März 1992 (4562 - IV A. 10), zuletzt geändert durch RV d. JM vom 22. Oktober 2007 (4562 - IV A. 10).