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Justizverwaltungs­vorschriften-Online

Eine Datenbank der Justiz Nordrhein-Westfalen
Die Justizverwaltungsvorschriften in einer Datenbanklösung mit komfortabler Volltextsuche.

Ausführung des Landesprogramms gegen Sucht in
Nordrhein-Westfalen
hier:
Betreuung drogenabhängiger Gefangener in
Justizvollzugsanstalten und Zusammenarbeit mit außervollzuglichen Institutionen
Gemeinsamer Runderlass des Ministeriums für Inneres und Justiz (4550 - IV B. 65)
und des Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit (V A 4 - 0392.3)
vom 3. November 1998
- JMBl. NW S. 297 -

1. Allgemeines


1.1
Sucht ist ein Krankheitsbild, das psychische und/ oder körperliche (in der Regel stoffgebundene) Abhängigkeit umfasst.

Die Ursachen der Sucht sind vielschichtig und die individuellen Veranlagungen, das soziale Umfeld der Person sowie die Verfügbarkeit der Substanz beeinflussen sich gegenseitig.

1.2
Dieser Erlass zielt in erster Linie auf den Umgang mit Abhängigen von illegalen Drogen. Aber auch alle anderen Suchtformen können ursächlich für Delinquenz sein. In diesen Fällen ist der Erlass entsprechend anzuwenden.

1.3
Die nach dem Landesprogramm vorgesehene Förderung der Zusammenarbeit der Justizvollzugsanstalten mit Suchtberatungsstellen und Therapieeinrichtungen ist im Einvernehmen mit dem Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit besonders berücksichtigt.

2. Adressatenkreis


2.1
Das Konzept richtet sich an die in den Justizvollzugsanstalten, in der Suchtarbeit und in der Gesundheitshilfe einschließlich der Gesundheitsämter, der AIDS-Hilfen, des sozialpsychologischen Dienstes und der Selbsthilfeeinrichtungen tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ihre Aufgabe ist es, das Konzept umzusetzen.

2.1.1
Im Rahmen der Zusammenarbeit sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz einerseits und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Suchtarbeit und der Gesundheitshilfe andererseits aufgerufen, ihre für ihren Bereich zu treffenden Maßnahmen im Interesse des drogenabhängigen Straftäters miteinander zu verzahnen.

2.1.2
In Justizvollzugsanstalten ist die anstaltsinterne Suchtberatung in erster Linie Ansprechpartner für die Gefangenen. Wünscht eine Gefangene oder ein Gefangener vorrangig eine Betreuung durch externe Suchtberatungsstellen, ist die Kontaktaufnahme zu vermitteln. In vielen Fällen können auf diese Weise besondere Vertrauensverhältnisse und vorbestehende therapeutische Kontakte genutzt und gefördert werden.

2.1.3
Die anstaltsinterne Suchtberatung hat auch die Aufgabe, die anderen Berufsgruppen im Strafvollzug fachkundig zu beraten.

2.2
Die mit drogenabhängigen Straftätern befassten Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte des Landes werden über die Inhalte des Konzepts zur Betreuung Drogenabhängiger in den Justizvollzugsanstalten des Landes informiert. Sie werden gebeten, sich der im Konzept vorgesehenen Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalten und Suchtberatungsstellen sowie Therapieeinrichtungen und anderen mit der Beratung, Betreuung und Behandlung befassten Einrichtungen nicht zu verschließen.

3. Aus- und Fortbildung


Die Zusammenarbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalten und der Suchtberatungsstellen sowie Therapieeinrichtungen und anderen mit der Beratung, Betreuung und Behandlung von Drogenabhängigen und -gefährdeten befassten Einrichtungen und Institutionen ist durch Arbeitsgespräche sowie im Bereich der Fortbildung zu fördern.

4. Finanzierung


Zur Förderung der Zusammenarbeit des Justizvollzuges mit den Suchtberatungsstellen bietet das Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit für überwiegend auf diesem Gebiet tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Drogenberatungsstellen besondere Personalkostenzuschüsse. Näheres regeln die "Richtlinien über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Sucht- und Drogenberatungsstellen" - Sammelblatt NW 2128.

Konzept zur Intensivierung der Betreuung Drogenabhängiger in Justizvollzugsanstalten des Landes

1. Vorbemerkung


1.1
Der Drogenmissbrauch und die Drogenabhängigkeit haben sich in den letzten Jahren weiterhin besorgniserregend entwickelt. Einerseits steigen die Zahlen der Erstkonsumentinnen und -konsumenten illegaler Betäubungsmittel, andererseits wächst die Zahl der Betroffenen, bei denen der Drogenkonsum bereits bestehendes delinquentes Verhalten überlagert.

1.2
Die besondere Situation von Drogenabhängigen im Vollzug ergibt sich daraus, dass es sich nach allgemein gültiger Definition um Kranke handelt.

1.3
Das zwischen dem Ministerium für Inneres und Justiz und dem Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit abgestimmte Konzept versucht, beiden Aspekten gerecht zu werden. Es geht davon aus, dass der Justizvollzug zu einer Drogentherapie in engerem Sinne nicht bestimmt und nur in engen Grenzen in der Lage ist. Andererseits soll der Vollzug therapeutische Chancen erkennen und fördern.

2. Betreuung drogenabhängiger Straf- und Untersuchungsgefangener


2.1 Allgemeines

2.1.1
Drogenabhängig sind Gefangene, wenn sie infolge des Drogenkonsums behandlungsbedürftige Probleme physischer und/oder psychischer Art aufweisen. Bei den Drogenabhängigen im Justizvollzug handelt es sich überwiegend um Polytoxikomane, die zur freiwilligen Therapie nicht bereit waren, oder, soweit die verwirkte Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder sonst nicht vollstreckt worden ist, entsprechenden Auflagen und Weisungen nicht nachgekommen sind, sowie um langjährige Drogenkonsumentinnen und -konsumenten mit mehrfachem Scheitern der (drogenfreien) Rehabilitation.

2.1.2
Die Entstehung und der Verlauf von Sucht ist ein langwieriger Prozess. Persönlichkeit, Art des Suchtmittels sowie gesellschaftliche und soziale Bedingungen stellen Faktoren dar, die die Entwicklung ursächlich beeinflussen und in unterschiedlicher Ausprägung zu Problemen in den verschiedensten Lebensbereichen führen.

Entsprechend diesem Suchtverständnis hat der Vollzug während der gesamten Inhaftierungszeit der/des Drogenabhängigen bzw. der Drogenkonsumentin oder des Drogenkonsumenten unterschiedliche Ausstiegshilfen und Hilfestellungen in lebenspraktischen Fragen bereitzuhalten. Anzustreben ist, dass drogenabhängige Inhaftierte dieselben Behandlungschancen wie abhängige Menschen in Freiheit erhalten. In diese Hilfen sind nach Möglichkeit auch ausländische Drogenabhängige einzubeziehen.

2.1.3
Der Haftbeginn ist ein günstiger Zeitpunkt, drogenabhängige Gefangene anzusprechen, Zukunftsperspektiven aufzuzeigen und Weichen zu stellen.

2.1.4
Ziel der Betreuungsarbeit sollte sein, dass drogenabhängige Straf- und Untersuchungsgefangene, soweit sie hierfür geeignet erscheinen und die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 116 StPO, § 35 BtMG, § 57 StGB, § 88 JGG) vorliegen, möglichst frühzeitig in eine externe stationäre Therapieeinrichtung oder ambulante Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen entlassen werden können.

2.2 Erfassung der drogenabhängigen Gefangenen

2.2.1
Ob eine Gefangene oder ein Gefangener drogenabhängig ist, ist anläßlich der nach Nr. 16 Abs. 2 UVollzO und § 5 StVollzG alsbald nach der Aufnahme vorzunehmenden ärztlichen Untersuchung zu ermitteln.

Eine möglichst genaue Erfassung der drogenabhängigen Gefangenen ist unter Einbeziehung der Erkenntnisse der anstaltsinternen Suchtberatung durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen.

2.2.2
Die Anstaltsleitung läßt zum 31. Oktober eines jeden Jahres die Daten über Drogenabhängigkeit auswerten. Dabei werden Abhängige von vorwiegend illegalen Drogen einschließlich Ersatzstoffen, vorwiegend Alkoholabhängige, vorwiegend Medikamentenabhängige (z. B. von Benzodiazepinen und Barbituraten) und sonstige (z. B. von Ecstasy) getrennt gezählt.

2.3 Entzug und erste Kontaktaufnahme

2.3.1
Aus der Erfassung der Drogenabhängigen bei Neuinhaftierung ergibt sich in der Regel eine Behandlungsbedürftigkeit im Entzug. Das wird zumeist durch Therapieschemata und Überwachungsmechanismen in der Anstalt möglich sein. Es setzt regelhaft die Einschaltung eines. Arztes voraus. Der kleinere Teil schwerer und risikohafter Entzüge muss stationär eingewiesen werden.

2.3.2
Erkannte drogenabhängige Gefangene sind von der Anstaltsärztin oder dem Anstaltsarzt zu befragen, ob sie das Angebot der anstaltsinternen Suchtberatung in Anspruch nehmen wollen. Das Ergebnis der Befragung ist in die Gesundheitsakte aufzunehmen. Die anstaltsinterne Suchtberatung wird, tunlichst mittels eines Formblattes, über die vorläufige Suchtdiagnose und ggfs. den Beratungswunsch informiert. Bei suchtgefährdeten Gefangenen sollte eine Unterrichtung der anstaltsinternen Suchtberatung in Erwägung gezogen werden.

2.3.3
Eine fachliche Begleitung der drogenabhängigen Gefangenen während des Entzuges ist durch geeignete Vorkehrungen der Justizvollzugsanstalten sicherzustellen. In der Frühphase der Haft, die prägenden Charakter für die spätere Motivationsarbeit hat, sind drogenabhängige Gefangene häufig eher für betreuerische Angebote ansprechbar und empfänglich. Dies gilt insbesondere für Erstinhaftierte.

Insofern kommt dieser ersten Kontaktaufnahme durch die Anstaltsärztin bzw. den Anstaltsarzt und/oder die anstaltsinterne Suchtberatung besondere Bedeutung zu.

2.3.4
Um der Selbstmordgefährdung zu Beginn der Inhaftierung wirksam begegnen zu können, stimmen Anstaltsleitung, psychologischer Dienst, anstaltsärztlicher Dienst und anstaltsinterne Suchtberatung die Vorgehensweisen, Maßnahmen sowie Beratungs- und Betreuungsarbeit untereinander ab.

2.3.5
Sämtliche als drogenabhängig erkannten Gefangenen werden sofort mittels eines Informationsblattes über die Betreuungsangebote der Anstalt informiert. Interessierte Drogenabhängige werden nach dem Prinzip der "aufsuchenden Sozialarbeit" von der anstaltsinternen Suchtberatung speziell über die auf ihre individuelle vollstreckungsrechtliche Situation bezogenen Betreuungs- und Behandlungsmöglichkeiten auch durch externe Suchtberatungsstellen umfassend aufgeklärt und beraten.

2.3.6
Für die drogenabhängigen Gefangenen, die den ausdrücklichen Wunsch nach Betreuung äußern, wird ein Behandlungsplan erarbeitet und fortgeschrieben, der auch in den zu erstellenden Vollzugsplan der Anstalt (§ 7 StVollzG) einfließt.

2.3.7
Bei drogenabhängigen Untersuchungsgefangenen ist Haftvermeidung zum Zwecke therapeutischer Intervention in geeigneten Behandlungseinrichtungen das vorrangige Ziel der Betreuungsarbeit. Dafür ist die enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Untersuchungsrichterinnen und Untersuchungsrichtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten Voraussetzung.
Unverzüglich nach der Aufnahme werden deshalb Gericht und/oder Staatsanwaltschaft über den Behandlungsplan der Anstalt für die drogenabhängige Untersuchungsgefangene bzw. den drogenabhängigen Untersuchungsgefangenen unterrichtet sowie darüber, dass er nur in enger Zusammenarbeit mit den örtlichen Drogenberatungsstellen, Bewährungshilfen und Abstinenzverbänden zu verwirklichen ist, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen der von der Anstalt zu leistenden Vollzugsgestaltung tätig werden.

Gericht und/oder Staatsanwaltschaft sind ausdrücklich darüber zu unterrichten, dass - sofern nichts anderes angeordnet wird - die Anstalt davon ausgeht, dass die Verwirklichung des Betreuungskonzepts den Zweck der Untersuchungshaft nicht gefährdet, dass es für Besuche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der örtlichen Drogenberatungsstellen einer Besuchserlaubnis nicht bedarf und insoweit eine Besuchsüberwachung nicht stattfindet. Über den Beginn einer externen Betreuung ist das Gericht und/oder die Staatsanwaltschaft ebenfalls zu unterrichten.

Bei Strafgefangenen sollte auf eine Überwachung der Schreiben an Therapieeinrichtungen, Drogenberatungsstellen, die zuständigen Kostenträger und des Rehabilitations-Antrags gem. § 29 StVollzG verzichtet oder die Überwachung der anstaltsinternen Suchtberatung übertragen werden.

2.3.8
Der Erfahrungsaustausch mit den Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten über die Behandlung drogenabhängiger Gefangener ist zu fördern. Es ist mindestens einmal jährlich von Seiten der Justizvollzugsanstalt eine Einladung an die Richterinnen und Richter und an die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte auszusprechen, um die Zusammenarbeit sicherzustellen.

2.3.9
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der externen Drogenberatungsstellen sowie die hauptamtlichen Kräfte der Therapieeinrichtungen sind keine ehrenamtlichen Betreuer im Sinne der AV vom 02.12.1977 (4450 - IV B. 56) - JMBl. NW 1978 S. 5 -. Auf Nr. 14 dieser AV wird Bezug genommen.

2.4 Motivationsarbeit

2.4.1
Alle Bediensteten der Justizvollzugsanstalt sind aufgerufen, bei drogenabhängigen Gefangenen die Bereitschaft zu wecken, sich mit der Suchtproblematik auseinanderzusetzen. Dabei sollte eine breite Information erfolgen, da auch bisher unbekannte Suchterkrankungen unter Haftbedingungen manifest werden können.

2.4.2
Die vertiefte Motivationsarbeit findet in Einzel- und Gruppengesprächen, in die der psychologische Dienst einzubeziehen ist, mit dem Ziel statt, realistische Alternativen zur Haft und mögliche Perspektiven für die Zeit nach der Haftentlassung aufzuzeigen und die individuellen und formalen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von adäquaten Maßnahmen zu schaffen. Die aktive Mitarbeit der/des Drogenabhängigen ist dafür unerlässlich. Allerdings sollte das Maß der Fähigkeit, die Beratungs- und Behandlungsangebote auch anzunehmen, nicht zu hoch angesetzt werden.

2.4.3
Motivationsarbeit, psychosoziale Betreuung und Behandlung und qualifizierte Therapievorbereitung und -vermittlung können intensiviert werden, wenn drogenabhängige Gefangene auf konzeptionell entsprechend ausgerichteten Abteilungen zusammengefasst werden. Im Vergleich zum Angebot einer "offenen" Motivationsarbeit können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen der ständigen Anwesenheit auf der Abteilung in weit größerem Umfang auch den gruppendynamischen Prozess für das Motivationsziel nutzbar machen und infolge der verbesserten Möglichkeiten der Verhaltensbeobachtung sozialpädagogisch handeln und sachgerechter entscheiden.

2.4.4
Die Motivationsarbeit ist in enger Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der externen Drogenberatungsstellen  und Therapieeinrichtungen, ggfs. auch mit Hausärztinnen bzw. Hausärzten, Suchtambulanzen, Bewährungshilfen sowie Abstinenzverbänden der freien Wohlfahrtspflege zu verwirklichen. Dieser Zusammenarbeit kommt auch deshalb besondere Bedeutung zu, weil es für die drogenabhängigen Inhaftierten wichtig ist, Wissen über die externen Hilfesysteme zu erhalten und deren Arbeitsweisen bereits im Vollzug zu erfahren.

2.5 Vollzugsgestaltung

2.5.1
Der Justizvollzug wird maßgeblich von seinen Lockerungsformen bestimmt und durch die Anstaltsleitung gestaltet. Beide wirken sich auf suchttherapeutische Maßnahmen aus.

2.5.2
Drogenmissbrauch fördert Inaktivität in allen Lebensbereichen, die nicht mit Beschaffung und Konsum zusammenhängen. Lebenspraktische Fähigkeiten außerhalb der Aktivitäten zur Drogenbeschaffung sind bei vielen Drogenabhängigen unterentwickelt. Die erzwungene Drogenabstinenz im Vollzug führt bei vielen Betroffenen zu einem Gefühl der Leere, die selbständig nicht mit Sinn gefüllt werden kann. Dies wirkt sich wiederum negativ auf das Ziel der Drogenfreiheit aus.

2.5.3
Soziales Lernen, schulische und berufliche Maßnahmen, ggfs. im Sinne einer Beschäftigungstherapie, sowie Sportangebote und Freizeitgestaltung zielen auf die Förderung von Eigeninitiative und -verantwortlichkeit ab. Insofern kommt ihnen im Rahmen der Betreuung drogenabhängiger Gefangener besondere Bedeutung zu.

2.5.4
Grundsätzlich sollte Gefangenen Gelegenheit gegeben werden, durch Urinkontrollen Abstinenz nachzuweisen. Drogenscreenings im Rahmen von ärztlichen Behandlungsmaßnahmen fallen unter die ärztliche Schweigepflicht, die zur Unterrichtung der anstaltsinternen Suchtberatung durchbrochen werden kann. Urinkontrollen, die aus Sicherheits- und/oder Ordnungsgründen von der Anstaltsleitung angeordnet werden, unterliegen nicht der ärztlichen Schweigepflicht.

2.5.5
Drogenabhängigen Gefangenen können Vollzugslockerungen und Urlaub nach einer gründlichen Prüfung gewährt werden. Sofern es im Einzelfall zu verantworten ist, soll ihnen auch Gelegenheit gegeben werden, zu erproben, ob sie sich für eigenständige Lockerungen geeignet erweisen. Grundsätzlich ist bei methadonsubstituierten Gefangenen, die über die im Rahmen dieser Behandlung vorgeschriebenen Drogenscreenings nachweisen können, dass sie keinen Beikonsum hatten, von einem reduzierten Missbrauchsrisiko auszugehen. In diesen Fällen muss nicht mehr von einer erheblichen Suchtgefährdung ausgegangen werden.

2.5.6
Das Vertrauensverhältnis zur anstaltsinternen oder externen Suchtberatung sollte, soweit möglich, genutzt und für Vorstellungsgespräche in Therapieeinrichtungen der Begleitgang bewilligt werden. Die Bewilligung unbeaufsichtigter Ausgänge bleibt unberührt.

2.5.7
Im Rahmen der Vollzugsgestaltung sollten, sofern es im Einzelfall vertretbar erscheint, möglichst frühzeitig Maßnahmen geprüft und eingeleitet werden, die auf eine vorzeitige Entlassung der drogenabhängigen Gefangenen zielen. Insoweit kann von drogentherapeutisch wirksamen Interventionen aller Vollzugsbediensteten gesprochen werden.

2.5.8
Im Hinblick auf die große Bedeutung der Therapievermittlung kann die Anstaltsleitung nach Maßgabe des § 8 StVollzG in den Fällen von einer Verlegung drogenabhängiger Gefangener in die nach dem Vollstreckungsplan zuständige Anstalt absehen, in denen aufgrund konkreter Tatsachen (z. B. Kostenzusage, Antrag auf Zurückstellung der Strafvollstreckung o. ä.) erwartet werden kann, dass in absehbarer Zeit (bis zu vier Monaten) eine externe Therapie begonnen wird. Bei der Entscheidung ist die Belegungssituation angemessen zu berücksichtigen.

2.5.9
Auf die Durchführung des Einweisungsverfahrens darf bei Strafgefangenen nur verzichtet werden, wenn die Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG bereits erfolgt ist oder unmittelbar bevorsteht.

2.5.10
Auch bei langfristig Inhaftierten, die zur Aufnahme einer Therapie nicht bereit sind oder bei denen die rechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind, soll eine Betreuung durch die externe Suchtberatung gefördert werden.

3. Substitutionsbehandlungen


3.1
Die medizinische Indikation zur Substitution wird von der Anstaltsärztin bzw. dem Anstaltsarzt gestellt. Die Substitution ist integrierter Bestandteil eines Konzeptes zur Behandlung drogenabhängiger Gefangener unter Einbeziehung psychosozialer Maßnahmen. Dieses Konzept ist von der Anstaltsärztin bzw. dem Anstaltsarzt und von der anstaltsinternen Suchtberatung gemeinsam zu entwickeln. Durch die Substitution soll (en)
- Entwicklungspotentiale gefördert, Lebensperspektiven erschlossen und die individuelle Entlassungsvorbereitung verbessert werden,
- eine Stabilisierung von bereits vor Inhaftierung Substituierten in der Aufnahmephase erreicht werden,
- die Entstehung vollzuglich-subkultureller Abhängigkeit bei Drogenabhängigen verringert bzw. ein Herauslösen aus der Vollzugs-Subkultur ermöglicht werden,
- durch Außervollzugsetzung des Haftbefehls gem. § 116 StPO, Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gem. § 57 StGB sowie § 88 JGG und Zurückstellung der Strafvollstreckung gem. § 35 BtMG bei Substituierten Haftvermeidung betrieben werden,
- der offene Vollzug vermehrt und früher Drogenabhängige aufnehmen können,
- das Übertragungsrisiko bei infektiösen Krankheiten (Hepatitis, HIV/AIDS) herabgesetzt werden (vgl. Nr. 7),
- der Drogenmissbrauch und -handel in den Justizvollzugsanstalten reduziert werden,
- erneuter Straffälligkeit durch Beschaffungskriminalität vorgebeugt werden,
- die individuelle Entlassungsvorbereitung verbessert werden.

3.2
Die Opiatsubstitution (DL-Methadon/L-Methadon) entspricht dem gegenwärtigen Stand der Schulmedizin und wird demzufolge auch im Justizvollzug angeboten. Die einschränkenden Regelungen der NUB-Richtlinien (Richtlinien über Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung - "Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden") sind für den Justizvollzug nicht bindend.

3.3
Im Rahmen der nachgehenden Sorge ist bei voraussichtlich kürzeren Haftzeiten oder Reststrafen die Frage der Weiterbehandlung nach der Haftentlassung bei Antritt der Haft bzw. vor Beginn der Substitution durch die Anstaltsärztin oder den Anstaltsarzt in Zusammenarbeit mit der anstaltsinternen Suchtberatung und vor allem der externen Drogenberatung zu klären und vorzubereiten (Suche nach einer Einrichtung für die psychosoziale Betreuung und nach einem weitersubstituierenden Hausarzt, Vorbereitung der Kostenübernahme durch die Krankenkassen, das Sozialamt oder privat).

4. Entlassungsvorbereitung


4.1
Drogenabhängige bedürfen einer sorgfältigen Entlassungsvorbereitung. Der Zeitpunkt des Beginns der Entlassungsvorbereitung ist so zu wählen, dass Einflußnahme und konkrete Lösungsschritte (Substitution, psychosoziale Betreuung, Wohnungssuche, Unterkunft in therapeutischen/betreuten Wohngemeinschaften, Schuldnerberatung, ausländerrechtlicher Status u.a.m.) möglich sind.

4.2
Die erforderlichen Maßnahmen der Entlassungsvorbereitung sind in den Vollzugsplan aufzunehmen. Die/Der Gefangene wird so zur aktiven Mitarbeit aufgefordert. Um die Entlassungsvorbereitung optimal zu gestalten, kann es in Einzelfällen geboten erscheinen, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus externen Drogenberatungsstellen und anderen Hilfeeinrichtungen die Teilnahme an der Vollzugskonferenz zu gestatten.

4.3
Auch die Beratung der Angehörigen durch die anstaltsinterne Suchtberatung kann die Situation nach der Haftentlassung verbessern helfen. Voraussetzung für diese Form der Angehörigenarbeit ist die Einwilligung und die Mitarbeitsbereitschaft der/des Gefangenen. Zweckmäßigerweise ist hier die Zusammenarbeit mit außervollzuglichen Institutionen und Einrichtungen anzustreben.

5. Anstaltsinterne Suchtberatung


5.1
Jede Justizvollzugsanstalt hat eine anstaltsinterne Suchtberatung, die fachlich und organisatorisch dem Sozialdienst zugeordnet ist. Im Zusammenwirken mit externen Drogenberatungsstellen hat die anstaltsinterne Suchtberatung für ein ausreichendes Beratungs- und Behandlungsangebot für Drogenabhängige und Suchtgefährdete zu sorgen. Anstaltsinterne Suchtberatung und externe Drogenberater bilden ein komplementäres Angebot.

Die anstaltsinterne Suchtberatung organisiert und koordiniert als zentrale Stelle die Betreuungs- und Behandlungsmaßnahmen und wirkt insofern einzelfallbezogen und einzelfallübergreifend.

Näheres regeln die "Richtlinien für die anstaltsinterne Suchtberatung".

5.2
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der anstaltsinternen Suchtberatung sind Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen sowie Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes, die im Geschäftsverteilungsplan für diese Aufgabe vorgesehen und ausgewiesen sind.

5.3
Die Arbeit der anstaltsinternen Suchtberatung ist den Gefangenen verständlich und nachvollziehbar zu machen. Ihre Inanspruchnahme beruht auf der Grundlage der Freiwilligkeit. Wesentliche Elemente der Behandlungsarbeit sind Betreuerkonstanz und das zwischen Suchtberaterin bzw. Suchtberater und Gefangenen bestehende Vertrauensverhältnis. Die Teilnahme an einer vom Land Nordrhein-Westfalen finanzierten Ausbildung zur Suchtberaterin bzw. zum Suchtberater verpflichtet die Bediensteten und den Justizvollzug zu einem Einsatz in der anstaltsinternen Suchtberatung für mindestens fünf Jahre.

6. Drogenprävention


6.1
In den Justizvollzugsanstalten darf die Suchtvorbeugung nicht außer Acht gelassen werden.

Für die präventive Arbeit mit nicht drogenabhängigen Gefangenen nehmen die Anstalten Kontakt mit Fachkräften der regionalen Drogenberatungsstellen auf, denen gemäß Landessuchtprogramm Nordrhein-Westfalen zusätzliche Mittel für die Einstellung ausgebildeter Fachkräfte zugewiesen werden.

6.2
Die anstaltsinterne Suchtberatung erarbeitet ein auf die Bedingungen der jeweiligen Anstalt abgestimmtes Präventionskonzept, welches die Bedingungen des Vollzuges und die Bedürfnisse der Gefangenen berücksichtigt. Dabei sind Aktivitäten im Arbeits- und Freizeitbereich mit einzubeziehen. Die Präventionsfachkräfte der externen Suchtberatungsstellen sind bei der Erstellung des Konzepts beratend hinzuzuziehen.

6.3
Die Einrichtung spezieller abstinenzorientierter Abteilungen mit unterschiedlichen Konzeptionen und für verschiedene Zielgruppen wird angestrebt, um Drogenabhängige und andere Gefangene entsprechend den individuellen Bedürfnissen und Problemlagen unterbringen und betreuen zu können. Den Gefangenen muss die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre Abstinenz durch Drogenscreenings nachweisen zu können.

6.4
Die Belange von Sicherheit und Ordnung und eine wirksame Suchtpräventionsarbeit mit Gefangenen ergänzen sich und tragen gleichwertig zu einer suchtmindernden Vollzugsgestaltung bei.

7. Infektionsschutz


7.1
Die häufigsten mit dem Drogenkonsum verbundenen Ansteckungserkrankungen sind AIDS, Hepatitis, Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten. Drogenabhängige sind in erheblichem Maße Überträger dieser Infektionen in die Allgemeinbevölkerung. Infektionsvorbeugende Maßnahmen sind im individuellen und öffentlichen Interesse zu fördern.

7.2
In Kenntnis der Risiken (Art des Drogenkonsums, Sexualverhalten, hygienische Lebensbedingungen) sollen Ansteckungskrankheiten möglichst festgestellt und effektiv behandelt werden.

7.3
Sind Infektionen, für die ein erhöhtes Risiko besteht, bei den Untersuchten bisher nicht eingetreten, soll diesen in geeigneter Weise auch künftig vorgebeugt werden.

7.4
Die Infektionsprophylaxe hat folgende Schwerpunkte:
- Aufklärung der Inhaftierten sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug über Infektionsgefahren und -wege, über Einstellungen und Techniken zur Schadensvermeidung oder -minimierung (safer sex, safer use usw.), wobei multilinguale Aufklärungs- und Informationsschriften der AIDS-Hilfe und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu verwenden sind,
- Impfungen von Inhaftierten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern,
- Methadondauersubstitution für Opiatabhängige, die (sicher oder möglicherweise) den Missbrauch in der Haft fortsetzen, bis geeignetere Maßnahmen für die Beendigung des Drogenmissbrauchs gefunden werden,
- kostenlose Ausgabe von Kondomen und wasserlöslichen Gleitmitteln.

7.5
Fortbildungen zur Epidemiologie und Prophylaxe werden gefördert.

8. Zusammenarbeit Justizvollzugsanstalten - Aufsichtsbehörden


8.1
Die Bewältigung der sich aus dem Drogenmissbrauch ergebenden Probleme im Bereich des Justizvollzuges erfordert eine enge Zusammenarbeit der Justizvollzugsbehörden. Dabei kommt den Justizvollzugsanstalten die Aufgabe zu, dieses Konzept zur Verbesserung der Betreuung drogenabhängiger Gefangener umzusetzen und es im Rahmen des sachlich und personell Möglichen für alle Beteiligten verbindlich festzulegen.

8.2
Aufgabe der Aufsichtsbehörden ist es, die Justizvollzugsanstalten bei der Verwirklichung dieses Konzeptes zu beraten, ihnen Hilfestellung zu leisten und Initiativen und Projekte zur sachgerechten Behandlung des Drogenproblems zu fördern.

8.3
Die Aufsichtsbehörden helfen bei der Optimierung der Arbeit und setzen Mindeststandards durch. Hervorzuheben sind insbesondere
- Planung und Durchführung von überörtlichen Fortbildungsveranstaltungen,
- Erörterung organisatorischer und finanzieller Fragen mit den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege als den Trägern von Drogenberatungsstellen und Therapieeinrichtungen, und
- Erörterung inhaltlicher Fragen der Zusammenarbeit mit der nordrhein-westfälischen Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeiter von Drogenberatungsstellen.

8.4
Mit der Wahrnehmung der vollzuglichen Interessen in externen Suchtkrankenhilfesystemen können geeignete anstaltsinterne Suchtberaterinnen oder Suchtberater beauftragt werden.

9. Schlussbestimmung


Der Gemeinsame Runderlass des Justizministers (4550 - IV B. 65) und des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales (V A 4 - 0392.3) vom 05.03.1981 - JMBl. NW S. 89 - in der Fassung des - Gemeinsamen Runderlasses vom 20.10.1983 - JMBl. NW S. 266 - wird aufgehoben.