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Suchtgefahren am Arbeitsplatz
RV d. JM vom 25.Januar 2001 (7650 - I A. 55)
Grundsätze
zum Umgang mit
Suchtgefahren am Arbeitsplatz
für den Geschäftsbereich
der Präsidentinnen oder Präsidenten der Landesarbeitsgerichte Düsseldorf, Hamm und Köln und
der Präsidentin oder des Präsidenten des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen

Präambel


1.
Alkohol, Drogen und Medikamentenmissbrauch führen nicht nur zu vorübergehenden Leistungs- und Verhaltensmängeln am Arbeitsplatz, sondern auch zu schwerwiegenden gesundheitlichen, familiären und sozialen Problemen. Gleiches gilt für stoffungebundenes Suchtverhalten.

2.
Sucht ist eine Krankheit, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen in allen beruflichen und sozialen Bereichen auftritt. Sucht ist nicht irgendein Fehlverhalten, Schwäche gegen sich selbst oder gar böser Wille, sondern eine Krankheit, die tödlich verlaufen kann, wenn sie nicht behandelt wird, und die die Kranken ihr Leben lang begleitet. Wenn jedoch rechtzeitig das Richtige getan wird, lernen die Betroffenen mit ihrer Erkrankung auf Dauer zu leben, d.h. ihre Auswirkungen aufzuheben.

I. Geltungsbereich


Diese Grundsätze gelten für alle Beschäftigten im Geschäftsbereich der Präsidentinnen oder der Präsidenten der Landesarbeitsgerichte Düsseldorf, Hamm und Köln und der Präsidentin oder des Präsidenten des Landessozialgerichts   Nordrhein-Westfalen.

II. Zielsetzung


Die Grundsätze haben das Ziel,

1.
suchtgefährdeten und suchtkranken Beschäftigten im frühestmöglichen Stadium durch den Dienstherrn eine wirksame Unterstützung zum Erhalt des Beschäftigungsverhältnisses zu sichern sowie die Betroffenen, ihre Umgebung und ihre Vorgesetzten darüber aufzuklären, dass Sucht eine Krankheit ist, die Hilfe erforderlich macht,

2.
Therapiemaßnahmen aufzuzeigen, zu vermitteln und die Motivation zur Abstinenz, z.B. durch ambulante oder stationäre Heilverfahren und/oder den Besuch von Selbsthilfegruppen, zu stärken,

3.    
im Falle der Beendigung des Beschäftigungs- oder Dienstverhältnisses der erhöhten sozialen Schützbedürftigkeit der Erkrankten Rechnung zu tragen.

III. Verantwortung und Durchführung


Die Vorgesetzten, die Personalverwaltung und die Gerichtsleitungen trifft vorrangig die Verantwortung für die Verwirklichung der Ziele sowie für die Einleitung und Durchführung von Maßnahmen nach dem hier festgelegten Verfahren. Sie arbeiten hierbei vertrauensvoll mit der Kontaktperson, den Richterräten, den Personalräten sowie der Schwerbehindertenvertretung zusammen.

IV. Bestellung und Aufgaben der Kontaktpersonen für Suchtprobleme


1.
In jedem Gericht bestellt die Leiterin oder der Leiter im Einvernehmen mit dem Richterrat, dem Personalrat und der Schwerbehindertenvertretung zumindest je eine Kontaktperson für den richterlichen und den nichtrichterlichen Dienst und veröffentlicht in geeigneter Weise diese Bestellung. In Einzelfällen kann die Gerichtsleitung im Einvernehmen mit den Beteiligungsgremien auch nur eine Kontaktperson für den richterlichen Dienst und den nichtrichterlichen Dienst bestellen.

Abweichend hiervon können Kontaktpersonen einvernehmlich für mehrere Gerichte benannt werden. Die Bestellung erfolgt durch die Leiterin oder den Leiter des den Gerichten übergeordneten Gerichts im Einvernehmen mit den jeweiligen Gerichtsleitungen und den zuständigen Richter-, Personal- und Schwerbehindertenvertretungen.

2.
Die Kontaktperson hat neben ihren Aufgaben in dem hier festgelegten Verfahren die Aufgabe,

- durch geeignete Information über Suchtkrankheiten für die notwendige Aufklärung aller Beschäftigten zu sorgen; sie wird dabei von der Gerichtsleitung
   unterstützt;
- auf externe Betreuungs- und Behandlungsmöglichkeiten (ambulante oder stationäre Heilverfahren) sowie den Besuch von Selbsthilfegruppen hinzuweisen und die
   Betroffenen auf Wunsch anfangs zu begleiten.

V. Stellung der Kontaktpersonen


1.
Die Kontaktpersonen arbeiten im Rahmen ihrer Aufgaben, unabhängig von der Dienststellung der Betroffenen, weisungsfrei. Sie dürfen dabei nicht behindert und wegen ihrer Funktion dienstlich nicht benachteiligt werden.

2.
Soweit ihre Aufgabe es erfordert, wird ihnen im Einzelfall Dienstbefreiung gewährt. Die Kontaktpersonen können sich bei Bedarf zum Erfahrungsaustausch treffen. Die Kosten für ihre Tätigkeit trägt im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel das Gericht.

3.
Die Beteiligung der Kontaktpersonen kann von den Betroffenen abgelehnt werden. In diesem Fall wird das hier festgelegte Verfahren ohne die Beteiligung der Kontaktperson durchgeführt.

VI. Verschwiegenheitspflicht


Alle Beteiligten haben über persönliche Verhältnisse, die ihnen bei der Anwendung dieser Grundsätze bekannt geworden sind, auch untereinander Stillschweigen zu bewahren.

VII. Aus- und Fortbildung


Die für die Verantwortung und Durchführung der Grundsätze bezeichneten Beteiligten werden kontinuierlich über Suchtgefahren und Erkrankungen informiert und fortgebildet. Die Fortbildungsmaßnahmen werden im Einvernehmen mit den Richter- und Personalvertretungen und den zuständigen Schwerbehindertenvertretungen im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel nach Maßgabe des Schulungskonzeptes (siehe Anlage) durchgeführt.

VIII. Regelungen bei suchtbedingten Auffälligkeiten (festgelegtes Verfahren)


1.
Ergeben sich für eine Vorgesetzte oder einen Vorgesetzten durch arbeits- oder dienstrechtlich relevantes Fehlverhalten von Beschäftigten Anhaltspunkte, die auf Suchtgefährdung oder Suchtmittelmissbrauch einer oder eines Beschäftigten schließen lassen, so führt sie/er unverzüglich ein erstes vertrauliches Gespräch mit ihr oder ihm. Hierbei sind nachweisbare Fakten wie Arbeitsfehlleistung und Auswirkung auf die nähere Umgebung bezogen auf das Verhalten der oder des Betroffenen anzusprechen.

Die oder der Beschäftigte ist auf mögliche Konsequenzen, jedoch gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass sie/er die Hilfe der Kontaktperson in Anspruch nehmen kann. Dieses Gespräch hat keine arbeits- bzw. disziplinarrechtlichen Konsequenzen.

2.    
Ist im Verhalten der oder des Betroffenen in überschaubarer Zeit keine Änderung festzustellen, so ist von der oder dem Vorgesetzten gemeinsam mit der Kontaktperson und der oder dem Betroffenen ein weiteres Gespräch zu führen.

Ihr oder ihm werden nunmehr Adressen von Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern, örtlichen Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen angeboten. Das Gespräch hat keine arbeits- oder disziplinarrechtlichen Konsequenzen.

3.
Führt dieses Gespräch zu keinem Erfolg, so ist von der oder dem Vorgesetzten ein Gespräch mit der  Gerichtsleiterin oder dem Gerichtsleiter, der Kontaktperson und der oder dem Betroffenen herbeizuführen.

Die oder der Betroffene ist darauf hinzuweisen, dass auf ihr oder sein Verlangen zu dem Gespräch ein Mitglied des Richterrates bzw. Personalrates, ggf. die Schwerbehindertenvertretung, die Gleichstellungsbeauftragte, Familienangehörige sowie sonstige Vertrauenspersonen hinzugezogen werden können.

In diesem Gespräch ist der oder dem Betroffenen aufzuzeigen, dass ihre bzw. seine Auffälligkeiten krankheitsbedingt sein können und dass sie bzw. er dies diagnostisch abklären lassen müsse. Die arbeits- oder disziplinarrechtlichen Konsequenzen ihres bzw. seines Verhaltens sind der oder dem Betroffenen zu erklären.

Über alle bisher geführten Gespräche dürfen keine schriftlichen Aufzeichnungen gefertigt werden. Es wird lediglich schriftlich festgehalten, dass und wann sie stattgefunden haben.

4.
Ist die oder der Betroffene nach diesen Maßnahmen nicht einsichtig und erfolgt keine Änderung in ihrem bzw. seinem dienstlichen Verhalten, ist mit ihr bzw. ihm ein weiteres Gespräch zu führen. Dabei werden arbeits- bzw. disziplinarrechtliche Konsequenzen angedroht.

5.
Setzen die Betroffenen ihr arbeits- bzw. dienstrechtlich relevantes Verhalten fort oder lehnen sie weiterhin Hilfsangebote ab, werden sie schriftlich abgemahnt bzw. ermahnt.

6.
Tritt auch danach keine Änderung ein oder lehnen die Betroffenen therapeutische Maßnahmen ab, so kann Arbeiterinnen, Arbeitern und Angestellten bei Vorliegen der sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Voraussetzungen die Kündigung ausgesprochen werden. Dabei ist ihnen in Aussicht zu stellen, dass sie nach erfolgreicher Heilbehandlung im Rahmen der stellenplanmäßigen Möglichkeiten und bei fachlicher Eignung für die zu vergebenden Stellen bevorzugt wieder eingestellt werden können.

Bei Richterinnen, Richtern, Beamtinnen und Beamten können ein Disziplinarverfahren sowie ein Verfahren zur Feststellung der Dienstunfähigkeit eingeleitet werden.

7.
Können ehemalige Beschäftigte nach suchtbedingter Entlassung die erfolgreiche Beendigung eines Heilverfahrens nachweisen, sind sie auf ihre Bewerbung bei fachlicher Eignung bevorzugt einzustellen. Dies gilt auch bei einem anders geführten Nachweis einer abstinenten Lebensweise über einen längeren Zeitraum.

Für Richterinnen und Richter, Beamtinnen und Beamte gilt § 48 Abs. 2 Satz 1 LBG.

IX. Zeitlicher Ablauf der Regelungen des festgelegten Verfahrens


1.
Das festgelegte Verfahren nach Ziffer 1 bis 4 sollte insgesamt sieben Monate nicht überschreiten, wobei die jeweilige Situation des Einzelfalles entscheidend ist.

2.
Sobald die Voraussetzungen für eine der Maßnahmen vorliegen, hat die oder der unmittelbare Vorgesetzte bzw. die oder der Dienstvorgesetzte unverzüglich tätig zu werden.

X. Vorgehen bei Rückfällen


Bei Rückfällen nach abgeschlossener oder abgebrochener Heilbehandlung (stationär, ambulant oder Besuch von Selbsthilfegruppen) wird je nach Lage des Einzelfalles im Einvernehmen zwischen Gerichtsleitung, Richterrat oder Personalrat, Schwerbehindertenvertretung und der Kontaktperson über das weitere Vorgehen entschieden.

XI. Personalaktenführung, Schriftverkehr


Der gesamte anfallende Schriftwechsel im Zusammenhang mit der Suchterkrankung Beschäftigter ist als Personalsache zu behandeln und wird als entsprechend gekennzeichnete Teilakte zur Personalakte geführt. Diese Teilakte ist zu vernichten, falls binnen drei Jahren nach dem letzten dokumentierten Vorgang bzw. nach Wiedereinstellung oder Wiederaufnahme des Dienstes die oder der Betroffene nicht erneut auffällig geworden ist.

XII. Inkrafttreten, Erfahrungsaustausch, Schulungskonzept


Diese Grundsätze treten mit ihrer Bekanntgabe in Kraft.

Die gewonnenen Ergebnisse und Erfahrungen werden regelmäßig zwischen der Gerichtsleitung, dem Richterrat, dem Personalrat und den Kontaktpersonen beraten.

Das Schulungskonzept (Anlage) ist Bestandteil dieser Grundsätze.