Anlage I zu der RV vom 28.5.1982 (2030 - I A. 68)
Disziplinarrecht
Anwendung der Disziplinarordnung
des Landes Nordrhein-Westfalen
RdErl. d. Innenministers v. 13.5.1971 - II A 1 - l.03.03 - 7/71 (SMBl. NW. 20340)
Zur Anwendung der Disziplinarordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (DO NW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Januar 1970 (GV. NW. S. 70), geändert durch Gesetz vom 5. Mai 1970 (GV. NW. S. 316), - SGV. NW. 20340 - gebe ich folgende Hinweise:
I. Allgemeine Grundsätze
1. Beschleunigung des Disziplinarverfahrens
Die Dienstvorgesetzten im Sinne des Disziplinarrechts (§§ 15 und 126 DO NW) haben bei der Ausübung ihrer Disziplinarbefugnisse unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Da das Disziplinarverfahren seinen Zweck nur dann erfüllt, wenn es zügig durchgeführt und zum Abschluss gebracht wird, sind alle unnötigen Verzögerungen zu vermeiden.
2. Belehrungszwang im Disziplinarverfahren
Nach § 26 Abs. 2 DO NW ist der Beamte vor der ersten Anhörung darauf hinzuweisen, dass es ihm freistehe, sich mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit - auch schon vor der ersten Anhörung - einen Verteidiger zu befragen; die Belehrung ist in der Niederschrift zu vermerken. Will der Beamte aussagen, so ist er zu einer wahrheitsgemäßen Aussage anzuhalten.
Der Untersuchungsführer hat sich vor der ersten Vernehmung zu vergewissern, dass die Belehrung erfolgt und in ihrer Bedeutung erfasst worden ist. Erforderlichenfalls ist sie nachzuholen.
II. Nichtförmliches Disziplinarverfahren
1 Anhörung des Beamten in den Vorermittlungen (§ 26 DO NW)
1.1
Die abschließende Anhörung des Beamten gehört zu den zwingenden Voraussetzungen jeder Disziplinarmaßnahme. Auf sie kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn weitere Feststellungen oder Vernehmungen nach § 26 Abs. 4 DO NW in der Sache nichts Neues ergeben haben. Der Ermittlungsvorgang muß immer mit der zur Niederschrift oder schriftlich gegebenen Stellungnahme des Beamten oder, wenn dieser sich nicht äußern will, mit der Aufforderung zur Stellungnahme oder mit dem Verzicht auf die Anhörung enden. Es genügt nicht, dass nur einem Bevollmächtigten Gelegenheit zur Stellungnahme geboten wird.
1.2
Der Pflicht zur Anhörung ist genügt, wenn der Beamte trotz einer angemessenen Ladungsfrist ohne stichhaltigen Grund nicht erscheint oder wenn er zwar erscheint, aber keine Erklärung zur Sache abgibt. Dasselbe gilt, wenn der Beamte die schriftliche Äußerung wählt, diese aber schuldhaft nicht fristgerecht einreicht. Eine nach Fristablauf eingehende Äußerung ist jedoch zu berücksichtigen, soweit in der Sache noch nicht entschieden ist. Die Ladungsfrist soll in der Regel eine Woche, die Frist zur schriftlichen Äußerung zwei Wochen nicht unterschreiten.
1.3
Der Beamte kann selbst bestimmen, ob er unter Aufnahme einer Niederschrift gehört werden oder sich schriftlich äußern will (§ 26 Abs. 2 DG NW). Dem Dienstvorgesetzten steht ein Wahlrecht insoweit nicht zu. Vor der Anhörung ist dem Beamten das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen bekanntzugeben.
1.4
Nach diesen Grundsätzen ist auch dann zu verfahren, wenn der Beamte die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen sich selbst beantragt hat oder wenn sich an die Vorermittlungen eine förmliche Untersuchung mit Anhörung des Beamten (§ 62 DO NW) anschließt.
2 Zuziehung eines Verteidigers während der Vorermittlungen
2.1
Der Beamte kann sich vom Beginn der Vorermittlungen an des Beistandes eines Verteidigers bedienen, dem bei jeder Anhörung des Beamten die Anwesenheit zu gestatten ist.
2.2
Dem Verteidiger ist, wenn der Beamte dem Dienstvorgesetzten die Bestellung angezeigt hat, der Anhörungstermin rechtzeitig mitzuteilen.
2.3
Der Verteidiger kann am Anhörungstermin teilnehmen und die Sach- und Rechtslage erörtern. Er kann den Beamten bei der Anhörung nicht vertreten; dagegen kann er die von dem Beamten gewählte schriftliche Erklärung nach § 26 Abs. 2 Satz 3 DO NW für diesen abgeben.
2.4
Der Verteidiger kann neben dem Beamten weitere Ermittlungen nach § 26 Abs. 4 Satz 2 DO NW beantragen.
2.5
Dem Beamten ist eine Abschrift der Niederschrift über seine Anhörung auszuhändigen (§ 26 Abs. 2 DO NW). Ihm und seinem Verteidiger ist zu gestatten, die Vorermittlungsakten und die beigezogenen Schriftstücke einzusehen, wenn dies nach Auffassung des Vorermittlungsführers den Ermittlungszweck nicht gefährdet. In Zweifelsfällen führt der Vorermittlungsführer die Entscheidung des Dienstvorgesetzten herbei.
3 Niederschriften
3.1
Über die Vernehmung und Anhörung des Beamten und der Zeugen sind ordnungsmäßige Niederschriften aufzunehmen (§ 21 Abs. 3 und § 26 Abs. 2 Satz 4 DO NW). Ein allein von dem Vernehmenden unterzeichneter Vermerk über Verlauf und Inhalt der Vernehmung oder Anhörung genügt nicht.
3.2
Für die Form der Niederschriften gelten nach § 25 DO NW die Vorschriften der Strafprozessordnung entsprechend. Nach § 188 StPO ist die Niederschrift von dem Vernehmenden und von dem Schriftführer zu unterschreiben. Sie muss Ort und Tag der Verhandlung sowie die Namen der mitwirkenden oder beteiligten Personen angeben und ersehen lassen, ob die wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens beachtet sind. Die Niederschrift ist den an der Verhandlung beteiligten Personen, soweit ihr Inhalt sie betrifft, zur Genehmigung vorzulesen oder zur eigenen Durchsicht vorzulegen. Die Genehmigung ist zu vermerken und die Niederschrift von den Beteiligten entweder zu unterschreiben oder darin anzugeben, weshalb die Unterschrift unterblieben ist. Nach § 188 Abs. 4 StPO können die Angaben von Zeugen in einer gebräuchlichen Kurzschrift als Anlage zu der Niederschrift genommen werden. Die Anlage ist den Beteiligten vorzulesen und allein vom Schriftführer zu unterschreiben. Es ist zu vermerken, dass die Niederschrift verlesen und genehmigt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind. Nach Beendigung der Verhandlung ist unverzüglich eine Übertragung der Anlage der Niederschrift in die gewöhnliche Schrift anzufertigen und vom Schriftführer zu beglaubigen. Die Übertragung tritt für das weitere Verfahren an die Stelle der Anlage.
3.3
Die Verpflichtung des von dem Untersuchungsführer beizuziehenden Schriftführers (§ 56 Abs. 1 DO NW) ist in der Niederschrift oder einer Anlage zu ihr zu vermerken.
4 Disziplinarverfügung (§ 30 DO NW)
4.1
In der Disziplinarverfügung sind alle dem Beamten vorgeworfenen pflichtwidrigen Handlungen oder Unterlassungen nach Art und Zeit zu bezeichnen. Die Begründung muss erkennen lassen, warum der Tatbestand eines Dienstvergehens als erfüllt angesehen wird, welche den Beamten belastenden und entlastenden Umstände im einzelnen berücksichtigt worden sind (§ 26 Abs. 1 DO NW), ob und inwieweit sein sonstiges Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes die Entscheidung beeinflusst hat und wie sein eigenes Vorbringen gewürdigt worden ist. Zur Würdigung der für den Beamten sprechenden Milderungsgründe ist der Dienstvorgesetzte verpflichtet. Die Unterlassung ist ein Verfahrensmangel, der die Aufhebung der Disziplinarverfügung rechtfertigt. § 3 DO NW ist in diesem Zusammenhang besonders zu beachten.
4.2
Wird eine Disziplinarverfügung im Anschluss an ein förmliches Disziplinarverfahren erlassen, so ist zuvor das förmliche Disziplinarverfahren einzustellen. Das kann im Rahmen derselben Entscheidung geschehen, indem die Verfügung über die Einstellung des förmlichen Verfahrens der Verhängung der Disziplinarmaßnahme vorangestellt wird.
5 Beschwerdeverfahren (§ 31 DO NW)
5.1
Gegen die Disziplinarverfügung ist innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Die Beschwerde ist, da § 31 DO NW hierzu keine Bestimmung trifft, auch dann wirksam eingelegt, wenn sie nicht begründet wird. Eine nach Ablauf der Beschwerdefrist eingehende Begründung ist zu berücksichtigen, solange über die Beschwerde noch nicht entschieden ist.
5.2
Die Beschwerde ist, wenn sie bei dem Dienstvorgesetzten eingeht, der die angefochtene Verfügung erlassen hat, mit allen in der Sache entstandenen Vorgängen einschließlich der Personalakten des Beamten innerhalb einer Woche dem nächsthöheren Dienstvorgesetzten vorzulegen.
5.3
Im Beschwerdeverfahren können neue Ermittlungen angestellt werden. Diese können sich auf Tatsachen erstrecken, die bis dahin noch nicht geprüft oder bereits Gegenstand von Vorermitt-lungen waren, aber - etwa mangels ausreichenden Beweises - der Disziplinarverfügung nicht zugrunde gelegt worden sind. Sie können sich aber auch innerhalb des Tatbestandes der Disziplinarverfügung halten und der Klärung des Sachverhaltes oder der Schwere des Dienstvergehens dienen. Am Ende der Ermittlungen ist dem Beamten in jedem Falle Gelegenheit zur abschließenden Äußerung zu geben, und zwar auch dann, wenn keine neuen für die Beurteilung des Dienstvergehens erheblichen Feststellungen getroffen worden sind.
5.4
Gegenstand der Beschwerdeentscheidung ist der Sachverhalt, der durch die Disziplinarverfügung bindend umgrenzt ist. Mit der Beschwerdeentscheidung kann die Disziplinarverfügung aufgehoben, geändert oder aufrechterhalten werden. Die Änderung besteht aus der Aufhebung der angefochtenen Verfügung und der Verhängung einer anderen Disziplinarmaßnahme; das sollte in der Entscheidung zum Ausdruck kommen. Eine Änderung der Disziplinarverfügung zu Ungunsten des Beamten ist nur im Rahmen des § 32 Abs. 2 DO NW zulässig; dabei ist § 4 DO NW zu beachten. Soll die Entscheidung auf Vorwürfe gestützt werden, die über den der angefochtenen Disziplinarverfügung zugrunde liegenden Tatbestand hinausgehen, so ist selbst dann die Disziplinarverfügung aufzuheben und statt ihrer eine Entscheidung nach § 32 Abs. 2 Satz 1 DO NW zu treffen, wenn die gleiche Disziplinarmaßnahme wie in der angefochtenen Disziplinarverfügung verhängt werden soll.
5.5
Die Anwendung des § 32 Abs. 2 DO NW sowie der Ablauf der Frist des § 32 Abs. 2 Satz 2 DO NW werden durch das Beschwerdeverfahren nicht berührt.
6 Rechtsmittelbelehrung
6.1
Die Rechtsmittelbelehrung zu der Disziplinarverfügung soll den Hinweis enthalten, dass die Rechtsmittelfrist auch gewahrt wird, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Dienstvorgesetzten eingeht, der über sie zu entscheiden hat (§ 31 Abs. 1 DO NW). Sie soll den Zusatz erhalten, dass eine etwa beabsichtigte Begründung innerhalb der Rechtsmittelfrist einzureichen ist.
6.2
In die Rechtsmittelbelehrung zu der Beschwerdeentscheidung ist der Hinweis aufzunehmen, dass der Antrag auf Entscheidung der Disziplinarkammer innerhalb der Rechtsmittelfrist schriftlich eingereicht und begründet werden muss (§ 31 Abs. 3 DO NW).
III. Förmliches Disziplinarverfahren
1 Vorermittlungen
1.1
Auch dem förmlichen Disziplinarverfahren müssen Vorermittlungen vorausgehen. Vor Erlass der Einleitungsverfügung ist der Beamte abschließend zu hören. Das unter Abschnitt II Nr. 1 - 3 Gesagte gilt entsprechend.
1.2
In Disziplinarverfahren, die mit dem Ziele der Entfernung aus dem Dienst oder der Aberkennung des Ruhegehalts durchgeführt werden, sind die Vorermittlungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit der Anhörung des Beamten im Sinne von § 26 Abs. 4 Satz 4 DO NW abzuschließen. Das Verfahren ist unbedingt mit der gebotenen Beschleunigung durchzuführen.
2 Einleitungsverfügung
Die Einleitungsverfügung (§ 33 DO NW) begründet die Anhängigkeit des förmlichen Disziplinarverfahrens. Sie muss klar erkennen lassen, was dem Beamten vorgeworfen wird und dass das förmliche Verfahren eingeleitet wird. Werden nach Aufnahme der Untersuchung weitere Pflichtverletzungen bekannt, braucht die Einleitungsverfügung im Hinblick auf das Antragsrecht des Vertreters der Einleitungsbehörde (§ 61 Abs. 2 DO NW) und die spätere Bekanntgabe der Beschuldigungen durch den Untersuchungsführer nicht ergänzt zu werden.
3 Bestellung und Aufgabe des Untersuchungsführers (§ 55 DO NW)
3.1
Zum Untersuchungsführer dürfen nur Beamte bestellt werden, die die Befähigung zum Richteramt oder die durch Prüfung erworbene Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst haben. Ruhestandsbeamte können nicht Untersuchungsführer sein.
3.2
Der Untersuchungsführer ist von seinen übrigen Aufgaben so weit freizustellen, dass eine zügige Durchführung der Untersuchung gewährleistet bleibt. Unnötige Zeitverluste gefährden das Untersuchungsergebnis, ermöglichen das Antragsverfahren nach § 65 Abs. l DO NW, verzögern dadurch die Entscheidung in der Hauptsache, belasten den Beamten und sind darüberhinaus für den Dienstherrn oft mit erheblichen finanziellen Auswirkungen verbunden.
3.3
Auf die Unabhängigkeit des Untersuchungsführers ist Bedacht zu nehmen. Es ist alles zu vermeiden, was zu einer Ablehnung des Untersuchungsführers nach § 55 Abs. 4 ggf. in Verbindung mit § 48 Satz 1 Nr. 1 bis 6 DO NW führen kann.
3.4
Noch seiner Bestellung hat der Untersuchungsführer alle Handlungen zu unterlassen, die Zweifel an seiner Unbefangenheit aufkommen lassen könnten. Er muss insbesondere darauf achten, dass er im Verhältnis zu dem Beamten ausschließlich als Untersuchungsführer tätig wird und seine Aufgaben nicht mit denen der Einleitungsbehörde oder des Vertreters der Einleitungsbehörde vermengt. Es ist nicht Sache des Untersuchungsführers, die vorläufige Dienstenthebung oder die Einbehaltung eines Teiles der Dienstbezüge oder eine Disziplinarmaßnahme vorzuschlagen.
3.5
Die Untersuchung muss sich auf die Aufklärung der Vorwürfe beschränken, die Gegenstand der Einleitungsverfügung sind.
Auf Antrag des Vertreters der Einleitungsbehörde muss der Untersuchungsführer seine Feststellungen auf neue Punkte ausdehnen; ohne einen solchen Antrag darf er es nur mit Zustimmung des Vertreters der Einleitungsbehörde (§ 61 Abs. 2 DO NW). Die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteils, auf denen das Urteil beruht, sind für die Untersuchungsführer bindend (§ 18 Abs. 1 DO NW). Insoweit erübrigt sich eine eigene Sachprüfung.
3.6
Über die Vernehmung des Beamten und der Zeugen sind ordnungsmäßige Niederschriften aufzunehmen (§ 21 Abs. 3 DO NW). Für die Anfertigung der Niederschriften gilt das unter Abschnitt II Nr. 3 Gesagte entsprechend. Die erforderlichen Aussagegenehmigungen sind vor der Vernehmung einzuholen.
3.7
Nach abschließender Äußerung des Beamten, die zu Protokoll des Untersuchungsführers oder schriftlich erfolgen kann, fasst der Untersuchungsführer die ermittelten Tatsachen in einem Bericht zusammen und legt diesen mit den entstandenen wie auch den beigezogenen Akten der Einleitungsbehörde vor. Der Bericht soll vollständig und genau abgefasst sein und einen Überblick über Art, Ausmaß und Ergebnis der Untersuchung geben. Er muss der Einleitungsbehörde die weitere Entscheidung ermöglichen.
4 Bestellung und Aufgabe des Vertreters der Einleitungsbehörde
4.1
Der Vertreter der Einleitungsbehörde und gegebenenfalls ein Vertreter werden von der Einleitungsbehörde bestellt. Die Bestellung ist dem beschuldigten Beamten bekanntzugeben. Gegen die Bestellung des Vertreters der Einleitungsbehörde gibt es weder ein Einspruchs- noch ein Ablehnungsrecht.
4.2
Der Vertreter der Einleitungsbehörde ist an die Weisungen der Einleitungsbehörde gebunden und vertritt sie in dem weiteren Verfahren. Seine Vertretungsmacht kann nur im Innenverhältnis zwischen ihm und der Einleitungsbehörde beschränkt werden, nicht aber den am Disziplinarverfahren Beteiligten gegenüber.
4.3
In der förmlichen Untersuchung ist der Vertreter der Einleitungsbehörde zu jeder Untersuchungshandlung zu laden. Seinen Beweis- und Ausdehnungsanträgen ist stattzugeben, soweit sie für die Tat- oder Schuldfrage, die Bemessung einer Disziplinar-maßnahme oder für die Gewährung eines Unterhaltsbeitrages von Bedeutung sein können (§ 61 Abs. 1 Satz 3 in Verbindung mit § 60 Abs. 2 DO NW). Er kann jederzeit die vollständigen Akten einsehen.
4.4
Nach Abschluss der förmlichen Untersuchung verfasst der Vertreter der Einleitungsbehörde - wenn die Einleitungsbehörde das Verfahren nicht einstellt (§ 63 Abs. 2 DO NW) - die Anschuldigungsschrift und legt sie in dreifacher Ausfertigung mit den Akten der Disziplinarkammer vor (§ 64 DO NW).
5 Inhalt der Anschuldigungsschrift (§ 64 DO NW)
Alle gegen den Beamten erhobenen Vorwürfe, in denen ein Dienstvergehen erblickt wird, sind einzeln und klar umrissen als Anschuldigungspunkte in die Anschuldigungsschrift aufzunehmen. Vorwürfe, die lediglich im Rahmen der näheren Erläuterungen der Anschuldigungspunkte erscheinen, können nicht als Teil des Dienstvergehens gewertet und zum Gegenstand der Verhandlung gemacht werden. Es empfiehlt sich, die Anschuldigungspunkte auf festgestellte Tatsachen zu beschränken und mutmaßliche Beweggründe für das Handeln oder Unterlassen des Beamten, die sich in dem weiteren Verfahren möglicherweise nicht bestätigen, nur in den weiteren Ausführungen zu erwähnen.
6 Unterschrifterfordernis
6.1
Die Einleitungsverfügung (§ 33 DO NW) ist vom Behördenleiter oder seinem allgemeinen Vertreter zu unterzeichnen.
6.2
Die Anschuldigungsschrift und Nachträge hierzu (§ 66 Abs. 3 DO NW) sowie die Berufungsschrift und alle im gerichtlichen Verfahren einzureichenden bestimmenden Schriftsätze sind vom Vertreter der Einleitungsbehörde eigenhändig zu unterzeichnen. Ihre Unterzeichnung durch den Leiter oder den stellvertretenden Leiter der Einleitungsbehörde oder eine nur beglaubigte Unterschrift des Vertreters der Einleitungsbehörde ist unzulässig.
7 Vorläufige Dienstenthebung (§ 91 DO NW)
7.1
Die vorläufige Dienstenthebung ist nach § 91 DO NW nur möglich, wenn ein dienstliches Bedürfnis dafür vorliegt. Sie ist nicht davon abhängig, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird. Sie kann auch dann geboten sein, wenn mit einer geringeren Disziplinar-maßnahme zu rechnen ist. Bei der Entscheidung hat die Einleitungsbehörde das Gewicht der gegen den Beamten erhobenen Vorwürfe, die dienstlichen Interessen, das Ansehen der Behörde und der Beamtenschaft einerseits und die dem Dienstherrn nach dem Beamtenrecht obliegende Fürsorgepflicht gegenüber dem beschuldigten Beamten andererseits gegeneinander abzuwägen.
7.2
Vor der Anordnung von Maßnahmen nach § 91 DO NW ist zu prüfen, ob eine Anhörung des Beamten bereits im Vorermittlungsverfahren oder in der Untersuchung stattgefunden hat. Hat eine Anhörung nicht stattgefunden oder haben sich nach der Anhörung wesentliche neue Anschuldigungspunkte ergeben, ist dem Beamten Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
8 Einbehaltung von Dienstbezügen (§ 92 DO NW)
8.1
Eine Anordnung nach § 92 Abs. 1 DO NW setzt voraus, dass im förmlichen Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird. Wann mit einer dieser Maßnahmen zu rechnen ist, hängt bei strafgerichtlicher Verurteilung nicht von dem Umfang des Straftatbestandes oder von der Höhe der Freiheitsstrafe ab. Es kommt vielmehr darauf an, wie das Dienstvergehen disziplinarrechtlich zu beurteilen ist. Auch wenn keine oder nur eine geringe Freiheitsstrafe verhängt worden ist, kann die Entfernung aus dem Dienst (Aberkennung des Ruhegehalts) angezeigt sein.
8.2
Ausgangspunkt für die Festsetzung der Höhe des einzubehaltenden Betrages ist innerhalb der gesetzlich festgesetzten Höchstgrenze (§ 92 Abs. 1 und 3 DO NW) die wirtschaftliche Lage des Beamten.
8.3
Der in einer Anordnung nach § 92 Abs. 1 DO NW festgesetzte Vom-Hundert-Satz der einzubehaltenden Dienst- und Versorgungsbezüge darf nachträglich nur erhöht werden, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten gebessert haben.
8.4
Wird nach § 95 Abs. 1 oder Abs. 2 DO NW die Anordnung aufgehoben, Dienst- oder Versorgungsbezüge einzubehalten, so ist der Anspruch des Beamten (Ruhestandsbeamten) auf Nachzahlung der einbehaltenen Beträge sofort fällig. Das gilt auch, unbeschadet der Regelungen in § 96 Abs. 3 DO NW, bei der Beendigung des Disziplinarverfahrens nach § 96 Abs. 2 DO NW.
9 Rechtsmittelverzicht
Sofern nicht besondere dienstliche Anordnungen vorliegen, sollte jedenfalls bei schweren Dienstvergehen, insbesondere bei allen Verfehlungen, die gleichzeitig den Tatbestand eines schweren Vergehens oder Verbrechens im Sinne des Strafgesetzbuches erfüllen, in dem Verfahren vor der Disziplinarkammer aber nicht zur Entfernung aus dem Dienst führen, von einem vorzeitigen Rechtsmittelverzicht - etwa in der mündlichen Verhandlung (§ 25 DO NW in Verbindung mit § 302 StPO) - tunlichst abgesehen und die Einleitungsbehörde sowie der Vertreter des öffentlichen Interesses in Disziplinarsachen umgehend unterrichtet werden, damit diese Gelegenheit haben, die ihnen nach § 55 Abs. 5 Satz 2 bzw. § 38 Nr. 3 und 4 DO NW zustehenden Rechte auszuüben.
10 Sonstige Hinweise
10.1
Nach § 17 Abs. 3 Satz 1 DO NW soll, wenn die Sachaufklärung gesichert ist, ein Disziplinarverfahren trotz inhaltsgleichen Strafverfahrens fortgeführt werden. Von dieser Möglichkeit ist im Interesse eines baldigen Verfahrensabschlusses mehr als bisher Gebrauch zu machen. Das gilt insbesondere, wenn der Beamte den Sachverhalt zugibt oder wenn bereits ein strafgerichtliches Urteil vorliegt, dessen tatsächliche Feststellungen nicht mehr angegriffen werden können.
10.2
In jedem Fall ist zu prüfen, ob gemäß § 55 Abs. 1 DO NW im Interesse einer Beschleunigung des Verfahrens von der förmlichen Untersuchung abgesehen werden kann. Meist ist die förmliche Untersuchung entbehrlich, wenn ein rechtskräftiges strafgerichtliches Urteil mit der Bindungswirkung nach § 18 DO NW ergangen ist. Von der förmlichen Untersuchung darf jedoch nur abgesehen werden, wenn dem Anspruch des Beamten auf rechtliches Gehör, besonders zu allen Punkten, in denen ein Dienstvergehen erblickt wird und die in die Anschuldigungsschrift aufgenommen werden sollen, im Vorermittlungsverfahren nach § 26 DO NW genügt ist.
10.3
Die Verbindung von Verfahren nach § 36 Abs. 3 und 4 DO NW trägt wesentlich zu einer Verfahrenserleichterung und Beschleunigung bei. Daher ist von dieser Möglichkeit in vertretbarem Umfang Gebrauch zu machen.
10.4
Bei der Berechnung von Fristen sind nach § 25 DO NW die Vorschriften der §§ 42 und 43 StPO anzuwenden.
10.5
Der Eingriff in das Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 GG, der in der Übersendung der Akten eines Ehescheidungsverfahrens an den Untersuchungsführer in einem Disziplinarverfahren liegt, ist ohne Einverständnis der Ehegatten nur dann zulässig, wenn er im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebotes gerechtfertigt ist (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15.1.1970 1 B.v.R 13/68 - NJW 1970, 555, DÖV 1970, 204).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt neben der generellen Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre und dem öffentlichen Interesse, dass die Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zweckes geeignet und erforderlich ist und dass der mit ihr verbundene Eingriff seiner Intensität nach nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Stärke des bestehenden Tatverdachtes steht. Die hiernach gebotene Abwägung zwischen den in Betracht kommenden Maßnahmen und zwischen Anlass und Auswirkung des angeordneten Eingriffs ist unter Würdigung aller persönlichen und tatsächlichen Umstände des Einzelfalles vorzunehmen.
10.6
Für Ehrenbeamte gelten grundsätzlich die Vorschriften der Disziplinarordnung (§ 1 DO NW in Verbindung mit § 183 LBG), soweit sich aus dem Wesen des Ehrenbeamtenverhältnisses und seiner rechtlichen Ausgestaltung nichts anderes ergibt. Nach § 183 des Landesbeamtengesetzes für Ehrenbeamte geltende besondere Vorschriften über die Verhängung von Bußen und über das Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis bleiben unberührt.
10.7
Nach § 96 Abs. 3 DO NW hat der Beamte in den dort vorgesehenen Fällen die Höhe seiner Einkünfte aus Nebentätigkeiten glaubhaft darzulegen. Dieser Nachweis ist unabhängig von der Höhe der Einkünfte erforderlich. Dem steht auch § 16 der Nebentätigkeitsverordnung vom 9. Mai 1967 (GV. NW. S. 64/ SGV. NW. 20302) nicht entgegen.
11
Bei der Einschaltung des Landespersonalausschusses in den Fällen des § 9 Abs. 3, § 10 Abs. 2 und des § 11 Abs. 3 DO NW ist die Geschäftsordnung des Landespersonalausschusses v. 17.2. 1966 in der Fassung der Bekanntmachung der Geschäftsstelle des Landespersonalausschusses v. 1.3.1966 (SMBl. NW. 20304) zu beachten.