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Richtlinien betreffend die Verlegung in den offenen Vollzug und vollzugsöffnende Maßnahmen

RV d. JM vom 29. Januar 2015 (4511 - IV. 19)
in der Fassung vom 13. Dezember 2016


 

1.
Allgemeines

In diesen Richtlinien werden Kriterien festgelegt, die Anstaltsleiterinnen und Anstaltsleiter der Justizvollzugsanstalten des Landes bei Entscheidungen über die Verlegung in den offenen Vollzug (§ 12 StVollzG NRW, § 13 SVVollzG NRW) und der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen (§§ 53 ff. StVollzG NRW, §§ 53 ff. SVVollzG NRW) bei erwachsenen Strafgefangenen und in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten berücksichtigen sollen.

 

Über diese Richtlinien hinaus sind die Standards für Entscheidungen über die Verlegung in den offenen Vollzug und die Gewährung selbständiger vollzugsöffnender Maßnahmen in der „Konzeption zur Qualitätssicherung der Entscheidungen über die Verlegung in den offenen Vollzug und die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen (Erwachsenenvollzug)“ festgelegt, die in den dort näher bestimmten Fällen Anwendung findet. Für Jugendstrafgefangene findet ausschließlich die „Konzeption zur Qualitätssicherung der Entscheidungen über die Verlegung in den offenen Vollzug und die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen (Jugendstrafvollzug)“ Anwendung.

 

2.
Anforderungen an die Entscheidungsfindung

2.1
Jede Entscheidung über eine Verlegung in den offenen Vollzug oder die Gewährung von selbständigen vollzugsöffnenden Maßnahmen (Begleitausgang, Ausgang, Langzeitausgang, Außenbeschäftigung und Freigang) basiert auf einer umfassenden Abklärung der Flucht- und Missbrauchsgefahr. Im Entscheidungsprozess werden die in der Vollzugskonferenz vorgetragenen Informationen und Voten unter Abwägung von Sicherheits- und Behandlungsaspekten zusammenfassend gewichtet und das Ergebnis in einer Konferenzniederschrift nachvollziehbar dokumentiert.

 

2.2
Zur Sicherstellung einer ausreichenden Beurteilungsgrundlage für die Entscheidung über die Verlegung in den offenen Vollzug oder über selbständige vollzugsöffnende Maßnahmen sowie zur Gewährleistung einer zuverlässigen Weitergabe von Informationen über die beabsichtigten Maßnahmen an andere Verwaltungsstellen prüft die Anstalt, ob die Beteiligung anderer Behörden geboten ist.

 

2.3
Bei in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten sowie bei Strafgefangenen mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung ist dem zuständigen Gericht vorab Gelegenheit zur Äußerung zu geben. 

 

2.4
Der zuständigen Behörde soll darüber hinaus in folgenden Fällen Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden:

 

2.4.1
Bei Gefangenen / Untergebrachten, gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe vollzogen wurde oder zu vollziehen ist, welche gemäß § 74a GVG von der Strafkammer oder gemäß § 120 GVG vom Oberlandesgericht im ersten Rechtszug verhängt worden ist (Beteiligung der Vollstreckungsbehörde).

 

2.4.2
Bei Gefangenen / Untergebrachten, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig ist; hier sind Gegenstand und Stand des Verfahrens durch Anfrage bei der zuständigen Behörde festzustellen und aktenkundig zu machen (Beteiligung der zuständigen Behörde).

 

2.4.3
Bei ausländischen Gefangenen / Untergebrachten ist durch Anfrage bei der zuständigen Behörde festzustellen, ob ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren anhängig ist (Beteiligung der Ausländerbehörde).

 

2.4.4
Gründe für ein Absehen von der Beteiligung der Behörde (Ziffer 2.4.1. - 2.4.3) sind aktenkundig zu machen.

 

2.5
Die wiederholte Gewährung selbständiger vollzugsöffnender Maßnahmen erfordert  eine erneute Überprüfung der Entscheidungsgrundlagen. Die Prüfung bezieht sich auf mögliche Veränderungen der entscheidungsrelevanten Fakten gegenüber der Erstgewährung.

 

3.
Zu § 12 StVollzG NRW (Geschlossener und offener Vollzug) / § 13 Absatz 2 SVVollzG NRW (Verlegung und Überstellung)

 

3.1
Vom offenen Vollzug ausgeschlossen sind Gefangene / Untergebrachte, gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebungshaft angeordnet ist.

 

3.2
Gefangene / Untergebrachte, die einer Erprobung bedürfen und daher zunächst unter Aufsicht beschäftigt werden müssen, sind in einer offenen Einrichtung unterzubringen, in der eine regelmäßige Beschäftigung unter Aufsicht eines Vollzugsbediensteten außerhalb der Anstalt (Außenbeschäftigung) oder innerhalb der Anstalt gewährleistet werden kann.

 

Männliche Gefangene / Männliche Untergebrachte, gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe wegen grober Gewalttätigkeiten gegen Personen, wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder wegen Handels mit Stoffen im Sinne des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln vollzogen wurde oder zu vollziehen ist oder die im Vollzug in den begründeten Verdacht des Handels mit diesen Stoffen oder des Einbringens dieser Stoffe gekommen sind oder bei denen eine Erprobung aus in ihrer Person liegenden Gründen für erforderlich erachtet wird, werden hierzu namentlich in die Justizvollzugsanstalten Bielefeld- Senne, Castrop-Rauxel (Fn 1) oder Euskirchen verlegt, sofern eine berufliche Bildungsmaßnahme vorgesehen ist, auch in die Justizvollzugsanstalt Bochum-Langendreer. Dies gilt auch für Gefangene / Untergebrachte, über die Erkenntnisse vorliegen, dass sie der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind.

 

Gefangene / Untergebrachte, die in einer Außenbeschäftigung oder in einer Beschäftigung unter Aufsicht innerhalb der Anstalt erprobt worden sind und für die Zulassung zum Freigang geeignet sind, können auch in eine andere offene Einrichtung weiterverlegt werden. Auch ein Gefangener, der nicht alsbald nach Abschluss einer Berufsbildungsmaßnahme entlassen wird, kann zur Beschäftigung entsprechend der erworbenen beruflichen Qualifikationen in jede andere offene Einrichtung verlegt werden.

 

4.
Zu §§ 53 (Vollzugsöffnende Maßnahmen) und 54 (Langzeitausgang) StVollzG NRW / § 53 SVVollzG NRW (Vollzugsöffnende Maßnahmen)

4.1
Von selbständigen vollzugsöffnenden Maßnahmen ausgeschlossen sind Gefangene / Untergebrachte, gegen die Untersuchungs-, Auslieferungs- oder Abschiebungshaft angeordnet ist.

 

4.2.
Vor der Außenbeschäftigung und der Ausführung erteilt die Anstaltsleiterin / der Anstaltsleiter den Bediensteten die nach Lage des Falles erforderlichen Weisungen. Bei der Außenbeschäftigung legt sie / er insbesondere die im Einzelfall angemessene Art der Aufsicht fest. Die Ausführung überträgt sie / er besonders geeigneten Bediensteten.

 

4.3
Wird die Wahrnehmung eines Begleitausgangs Vollzugsbediensteten übertragen, so findet die Regelung in Nr. 23 (Fn 1) der Richtlinien für den Bereich der Sicherheit und Ordnung in den Justizvollzugsanstalten des Landes NRW (4434 - IV A. 17) keine Anwendung. Vor der Anordnung eines Begleitausgangs wird der vorgesehene Ablauf mit der Begleitperson erörtert. Die Gefangenen / Untergebrachten werden insbesondere angewiesen, für die gesamte Dauer der Abwesenheit von der Anstalt Anordnungen der Begleitperson Folge zu leisten.

 

4.4
Die Ausgestaltung des Freigangs ist mit dem Arbeitgeber durch schriftliche Vereinbarung zu regeln. Dabei ist insbesondere die Verpflichtung festzulegen, die Anstalt unverzüglich zu benachrichtigen, wenn die Gefangenen / Untergebrachten an der Beschäftigungsstelle nicht rechtzeitig erscheinen, sich ohne Erlaubnis entfernen oder sonst ein besonderer Anlass (insbesondere Erkrankung, Trunkenheit) hierzu besteht.

 

Die Anstalt überprüft das Verhalten der Gefangenen / Untergebrachten während des Freiganges in unregelmäßigen Abständen.

 

4.5
Langzeitausgang ist nicht in das nächste Vollstreckungsjahr übertragbar. Auf jeden angefangenen Kalendermonat der voraussichtlichen Vollzugsdauer entfallen im Rahmen der Höchstdauer (§ 54 Absatz 1 StVollzG NRW) in der Regel nicht mehr als zwei Tage Langzeitausgang ab Feststellung der Eignung der Gefangenen.

 

Hinweis: Ziffer 4.5 findet nur für erwachsene männliche und weibliche Strafgefangene Anwendung, nicht für in der Sicherungsverwahrung Untergebrachte.

 

4.6
Gefangene / Untergebrachte haben die Adresse, bei der sie sich während des Langzeitausgangs aufhalten, anzugeben.

 

Gefangene / Untergebrachte erhalten einen Langzeitausgangsschein. In dem Langzeitausgangsschein sind Weisungen, soweit erforderlich, aufzuführen. Vor Antritt des Langzeitausgangs sind die Gefangenen / Untergebrachten namentlich über die Voraussetzungen des Widerrufs und der Rücknahme des Langzeitausgangs sowie die Bedeutung der erteilten Weisungen zu belehren.

  

5.
Zu § 55 StVollzG NRW / § 54 SVVollzG NRW (Vollzugsöffnende Maßnahmen aus wichtigem Anlass)

 

5.1
Bei der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen aus wichtigem Anlass gelten die vorgenannten Verwaltungsvorschriften zu §§ 53, 54 StVollzG NRW / § 53 SVVollzG NRW entsprechend.

 

5.2
Ein wichtiger Anlass im Sinne der Vorschriften liegt insbesondere dann vor, wenn dieser unaufschiebbar ist und persönliche, geschäftliche oder rechtliche Belange der / des Gefangenen / Untergebrachten betroffen sind, bei der die persönliche Anwesenheit außerhalb der Anstalt erforderlich ist. Von der Beratung in einer Konferenz kann abgesehen werden, wenn die Eilbedürftigkeit der Entscheidung dies erfordert.

 

5.3
Ersucht das Gericht die Anstalt, Gefangene / Untergebrachte an einem gerichtlichen Termin teilnehmen zu lassen, so unterrichtet die Anstalt das Gericht, ob und in welcher Weise die Gefangenen / Untergebrachten an dem Termin teilnehmen werden.

 

Erlässt das Gericht einen Vorführungsbefehl oder ersucht es die Anstalt um Vorführung, so lässt die Anstaltsleiterin / der Anstaltsleiter die Gefangenen / Untergebrachten zu dem gerichtlichen Termin vorführen.

 

5.4
Den Gefangenen / Untergebrachten wird Gelegenheit gegeben, der Urkundsbeamtin / dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts in der Anstalt vorgeführt zu werden. Das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, setzt im Benehmen mit der Anstaltsleiterin / dem Anstaltsleiter die Geschäftszeiten fest.

 

6.
Zu § 59 StVollzG NRW (Vollzugsöffnende Maßnahmen zur Entlassungsvorbereitung / § 55 SVVollzG NRW (Langzeitausgang, Verlegung in den offenen Vollzug zur Vorbereitung der Entlassung)

 

Bei der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen zur Entlassungsvorbereitung gelten die vorgenannten Verwaltungsvorschriften zu §§ 53, 54 StVollzG NRW / § 53 SVVollzG NRW entsprechend.

 
7.
Zu § 89 StVollzG NRW (Langzeitausgang zur Vorbereitung der Entlassung) - bei Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung

Ziffer 4.6 zu §§ 53 und 54 StVollzG NRW / § 53 SVVollzG NRW dieser Richtlinien findet entsprechende Anwendung.

 

8.
Zu § 92 Absatz 4 StVollzG NRW (Gestaltung des Vollzuges) - bei nachträglich angeordneter oder drohender Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

Ziffer 4.6 zu §§ 53 und 54 StVollzG NRW dieser Richtlinien findet entsprechende Anwendung.

 

9.
Diese RV tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft. Gleichzeitig werden die „Richtlinien betreffend die Verlegung in den offenen Vollzug, Vollzugslockerungen, Urlaub“ - RV d. JM vom 19. Mai 1999 (4511 - IV A.19) in der Fassung vom 9. Juni 2004 aufgehoben.

 


Fußnoten :

   Fn1: Geändert durch RV d. JM vom 13. Dezember 2016. Die Änderungen treten mit Wirkung zum 01.01.2017 in Kraft.