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Verfahren zur Feststellung des Förderungs- und Erziehungsbedarfs bei jungen Gefangenen in Untersuchungs- und Sicherungshaft (Auswahlverfahren) sowie Bestimmung der zuständigen Anstalt
RV d. JM vom 07.07.2020 (4412 - IV. 44)

 

Zu den §§ 37 Absatz 2, 39 UVollzG NRW i. V. m. § 11 Absatz 1 JStVollzG NRW sowie zu § 70 Absatz 3 JStVollzG NRW ordne ich an:

 

1. Präambel 

 

Das Verfahren zur Feststellung des Förderungs- und Erziehungsbedarfs während der Untersuchungshaft (Auswahlverfahren) hat folgende Ziele:

 

a) die Grundlage für eine erzieherische Ausgestaltung der Untersuchungshaft (§ 35 UVollzG NRW) zu schaffen,

 

b) gemeinsam mit den jungen Gefangenen Zukunftsperspektiven zu entwickeln,

 

c) die Erstellung des Vollzugsplans (§ 37 Absatz 2 UVollzG NRW i. V. m. § 12 JStVollzG NRW) vorzubereiten. 

 

2. Durchführung des Verfahrens

 

2.1

Die Durchführung des Verfahrens setzt voraus, dass die jungen Gefangenen zur Teilnahme bereit und fähig sind; ihre Bereitschaft ist durch geeignete Maßnahmen zu wecken und zu fördern. Sind junge Gefangene zu einer Mitarbeit nicht bereit, werden die erforderlichen Feststellungen nach Aktenlage erhoben.

 

2.2

Bei der Durchführung des Verfahrens arbeiten die verschiedenen Fachdienste unter der Federführung einer/eines von der Anstaltsleitung im Einzelfall zu bestimmenden Bediensteten zusammen, indem sie ihre jeweils notwendigen fachlichen Beiträge leisten. Die federführende Person wird von den für das Auswahlverfahren eingesetzten Kräften des Allgemeinen Vollzugsdienstes unterstützt. Die jungen Gefangenen werden über den Ablauf und die Ziele des Verfahrens informiert. Die federführende Person wird den zuständigen Organen der Jugendgerichtshilfe im Interesse der Zusammenarbeit als Ansprechperson benannt.

 

2.3

Zur Persönlichkeitserforschung der jungen Gefangenen werden unverzüglich nach Beginn der Untersuchungshaft Erhebungen zur Persönlichkeitsentwicklung und zu den Lebensumständen durchgeführt. Diese erfolgen anhand einer Befragung, der Beobachtung des vollzuglichen Verhaltens der jungen Gefangenen sowie der Auswertung möglicher Vorinformationen über sie aus anderen Quellen.

 

Sollte die zusätzliche Durchführung von standardisierten Testverfahren etwa für die Bereiche Schulleistung, Intelligenz, Motivation, Antrieb, Leistung und schulisch-beruflicher Interessen erforderlich sein, erfolgt die Auswahl anhand geeigneter Testverfahren. Im Einzelfall notwendige testpsychologische Persönlichkeitsuntersuchungen zu Fragen der Indikation besonderer Behandlungsmaßnahmen richten sich nach den einschlägigen, standardisierten, klinischen Verfahren wie bspw. dem Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI-R). Die Auswahl, Durchführung und Interpretation der Testverfahren obliegt den entsprechenden Fachkräften. Wird von der Durchführung angezeigter Testverfahren abgesehen, ist dies kurz zu begründen. Die diagnostische Tätigkeit hat sich zunächst auf Feststellungen zur Persönlichkeit, zu den Lebensverhältnissen, zur Schul- und Berufsbildung sowie zu den persönlichen und sozialen Verhältnissen der jungen Gefangenen zu beschränken; sie darf keine Beurteilung des Tathergangs oder der Schuld vorwegnehmen. 

 

2.4

Auswertung und Schlussbericht

 

2.4.1

Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse über die jungen Gefangenen werden nach Erörterung in einer Konferenz die bereits in der Untersuchungshaft geeigneten Förderungs- und Erziehungsmaßnahmen bestimmt; die Bereitschaft der jungen Gefangenen zur Teilnahme an diesen Maßnahmen ist zu wecken und zu fördern.

 

2.4.2

Der Schlussbericht wird unverzüglich nach Rechtskraft eines auf Jugendstrafe erkennenden Urteils abgefasst, sofern für die Entscheidung nach Nummer 2.5 nicht der Eingang der schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten ist. Er fasst den gebotenen Förderungs- und Erziehungsbedarf zusammen und mündet in einem Vorschlag, welche Vollzugsform und welche Anstalt diesem Bedarf am ehesten Rechnung zu tragen vermag; ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die Prüfung der Eignung für eine Unterbringung im offenen Vollzug zu richten.

 

Der Schlussbericht wird der Anstaltsleitung zur Entscheidung vorgelegt und ist sodann mit den jungen Gefangenen zu erörtern.

 

Von einem Schlussbericht ist abzusehen, wenn die Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt oder nach § 35 BtMG zurückgestellt worden ist.

 

2.5

Bestimmung der zuständigen Anstalt

 

2.5.1

Die Jugendstrafe wird in der Anstalt vollstreckt, in der auch die Untersuchungshaft vollstreckt worden ist, wenn diese für die Erziehung und Förderung der jungen Gefangenen auch die geeignete Anstalt ist.

 

2.5.2

Andernfalls soll spätestens bis zum Ablauf einer Woche nach Vorliegen des Schlussberichts die Anstaltsleitung nach Erörterung des Falles mit den am Auswahlverfahren beteiligten Bediensteten die Vollzugsform und die Anstalt bestimmen, in der die Jugendstrafe vollstreckt werden soll.

 

2.5.3

Verurteilte Personen, die das 24. Lebensjahr vollendet haben und ausnahmsweise nicht in eine Anstalt des Erwachsenenvollzuges eingewiesen oder verlegt werden

(§ 89b Absatz 1 Satz 2 JGG), sind nach dem Vollstreckungsplan in die Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf einzuweisen bzw. zu verlegen, soweit diese sich nicht in den jeweiligen Anstalten in festen Schul-, Ausbildungs- oder Behandlungsmaßnahmen befinden. Die Entscheidung über den Verbleib ist schriftlich zu begründen und den Gefangenen bekannt zu geben. Diese Regelung gilt ausdrücklich nicht für Untersuchungsgefangene über das 24. Lebensjahr hinaus, da sie sich nicht in einer Einrichtung des Jugendvollzuges befinden dürfen.

 

3. Verlegung

 

3.1

Die durch die Anstaltsleitung im Rahmen des Auswahlverfahrens bestimmte Anstalt ist in Abweichung von dem Vollstreckungsplan die für den Vollzug der Jugendstrafe sachlich und örtlich zuständige Vollzugsanstalt.

 

3.2

Die aufnehmende Anstalt übersendet den Schlussbericht mit der Entscheidung der Anstalt, in der das Auswahlverfahren durchgeführt wurde, der Vollstreckungsleiterin/ dem Vollstreckungsleiter.

 

3.3

Die Verlegung drogenabhängiger Gefangener in die nach Nr. 2.5 zuständige Anstalt kann mit Zustimmung der Vollstreckungsleiterin/des Vollstreckungsleiters bis zu drei Monaten zurückgestellt werden, wenn aufgrund konkreter Tatsachen (z.B. Kostenzusage, Antrag auf Zurückstellung der Strafvollstreckung) erwartet werden kann, dass der Gefangene sich alsbald einer externen Therapie unterziehen wird.

 

3.4

Ergibt sich im Laufe des weiteren Vollzuges der Jugendstrafe die Notwendigkeit, Gefangene aus den in § 13 Absatz 1 JStVollzG NRW genannten Gründen - insbesondere aus Gründen der Erziehung und Förderung - zu verlegen, so erfolgt dies im gegenseitigen Einvernehmen der beteiligten Anstaltsleitungen. Gefangene können in die nach dem Vollstreckungsplan zuständige Anstalt verlegt werden, wenn sich herausstellt, dass eine Teilnahme an einer im Auswahlverfahren empfohlenen Maßnahme der Erziehung und Förderung, die für die Bestimmung der Anstalt nach Nummer 2.5 ausschlaggebend war, nicht möglich ist. Über die Verlegung entscheidet die Anstaltsleitung der abgebenden Anstalt; die Entscheidung ist schriftlich zu begründen.

 

4. Mitteilungen

 

4.1

Die für die Vollstreckung von Jugendstrafen zuständigen Anstalten unterrichten sich gegenseitig über die Angebote an schulischen und beruflichen Maßnahmen, über die Möglichkeiten des Arbeitseinsatzes und über die Einführung neuer Behandlungsmaßnahmen.

 

4.2

Die für die Vollstreckung von Jugendstrafen zuständigen Anstalten unterrichten die Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel, Zentralstelle für Arbeitsverwaltung und berufliche Bildung im Justizvollzug, über alle Änderungen der "Übersicht über die Maßnahmen der schulischen und beruflichen Bildung, die Möglichkeiten des Arbeitseinsatzes sowie die besonderen Hilfs- und Erziehungsmaßnahmen in den Jugendstrafvollzugsanstalten des Landes".

 

4.3

Die Justizvollzugsanstalten, in denen das Auswahlverfahren durchgeführt wird, tauschen ihre Erfahrungen mit diesem Verfahren regelmäßig im Rahmen einer Dienstbesprechung unter Beteiligung des Ministeriums der Justiz untereinander aus.

 

5. Geschäftsgang

 

5.1

Die im Auswahlverfahren gewonnenen Erkenntnisse sind in den Gefangenenpersonalakten zu dokumentieren, namentlich durch Unterlagen der Anamneseerhebung, Auswertungen von Testverfahren, Stellungnahmen der am Auswahlverfahren beteiligten Bediensteten, Zusammenfassung und Schlussbericht, Entscheidung der Anstaltsleitung.

Die vorgenannten Schriftstücke sind hinter der Übersicht über Vollzugsmaßnahmen abzuheften.

 

5.2

Dem Datenauswertungszentrum der Justiz Nordrhein-Westfalen (DAZ) ist bis zum 15. Januar jeden Jahres eine Übersicht über die Anzahl der Gefangenen, die am Auswahlverfahren des vergangenen Jahres teilgenommen haben, elektronisch zu übermitteln. Das DAZ stellt die Übersicht im MIS-Justizvollzug bereit.

 

6. Entsprechende Anwendung von Regelungen

 

Die RV gilt für junge männliche Gefangene in Sicherungshaft (§ 453c StPO) entsprechend.

 

Die RV gilt für junge weibliche Untersuchungsgefangene und junge weibliche Gefangene in Sicherungshaft (§ 453c StPO) entsprechend, soweit die Besonderheiten der Vollstreckungszuständigkeit für diese es zulassen.

 

7. In-Kraft-Treten

 

Die Neufassung dieser RV des JM tritt mit Wirkung zum 15. Juli 2020 in Kraft.

Gleichzeitig wird die RV d. JM vom 7. Dezember 2012 (4412 – IV. 44) aufgehoben.