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Richtlinien für die Durchführung der Eingangsdiagnostik
(Behandlungsuntersuchung)

RV d. JM vom 19. Oktober 2022 (4400 E - IV. 1/21)

 

Zu § 9 StVollzG NRW (Behandlungsuntersuchung) wird Folgendes angeordnet:

 

I. Anwendungsbereich

 

Diese Richtlinien gelten für die Durchführung der Eingangsdiagnostik bei Gefangenen des geschlossenen sowie des offenen Vollzuges mit einer Vollzugsdauer ab einem Jahr, sofern nicht eine Teilnahme am Einweisungsverfahren erfolgt.

 

Zur Vorbereitung der Vollzugsplanung ist bei diesen Gefangenen alsbald nach dem Aufnahmeverfahren eine Behandlungsuntersuchung gemäß § 9 Absatz 1 StVollzG NRW durchzuführen. Die Diagnostik dient der Feststellung der Umstände, deren Kenntnis für eine planvolle und wirksame Behandlung und Förderung im Vollzug und für die Eingliederung nach der Entlassung notwendig ist. Art und Umfang der Eingangsdiagnostik sind an der voraussichtlichen Dauer der Freiheitsentziehung auszurichten.

 

II. Verfahren

 

Die Eingangsdiagnostik beinhaltet folgendes Vorgehen:

 

1.

Die Grundlage der Eingangsdiagnostik bilden die Wahrnehmungen der an der Behandlung maßgeblich Beteiligten. Ihre Beiträge werden auf der Basis eines Aktenstudiums, einer Exploration und Verhaltensbeobachtung der Gefangenen, sowie - wenn dies im Einzelfall erforderlich erscheint - auf Basis einer fallbezogenen testpsychologischen Untersuchung erstellt.

 

Die Angehörigen der Fachdienste wenden die fachdienstspezifischen Methoden unter Berücksichtigung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes an. Die in der "Checkliste für Stellungnahmen im Rahmen der Eingangsdiagnostik" (Anlage) benannten inhaltlichen und formalen Kriterien sind angemessen zu berücksichtigen.

 

2.

Anhand der der Inhaftierung zugrunde liegenden Urteilsfeststellungen wird nach Komplettierung der Akten für den Einzelfall festgelegt, welche Fachdienste bei der Durchführung der Eingangsdiagnostik zu beteiligen sind.

 

2.1

Eine Beteiligung des Allgemeinen Vollzugsdienstes ist bei allen Gefangenen erforderlich.

 

2.2

Eine Beteiligung des Sozialdienstes ist bei allen Gefangenen erforderlich.

 

Bei ausländischen Gefangenen ist der aufenthaltsrechtliche Status zu ermitteln. Durch Anfrage bei der zuständigen Ausländerbehörde ist festzustellen, ob ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren anhängig ist.

 

2.3

Eine Beteiligung des psychologischen Dienstes ist insbesondere erforderlich bei Gefangenen, gegen die während des laufenden Freiheitsentzuges eine Strafe

 

- wegen grober Gewalttätigkeit gegen Personen (Eine grobe Gewalttätigkeit gegen Personen ist immer dann anzunehmen, wenn aus dem im Strafurteil geschilderten Tathergang eine Vorgehensweise der Täterin/des Täters ersichtlich ist, die geeignet ist, beim Opfer erhebliche körperliche oder seelische Beeinträchtigungen herbei zu führen und dies von der Täterin/vom Täter zumindest in Kauf genommen worden ist.),

- wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung oder

- wegen eines versuchten Tötungsdeliktes

 

vollzogen wurde oder zu vollziehen ist,

 

sowie darüber hinaus in begründeten Einzelfällen, insbesondere wenn die Person, die Straftat oder die bisherige kriminelle Entwicklung der Gefangenen ebenfalls die Verletzung erheblicher Rechtsgüter befürchten lässt.

 

 

2.4

Eine Beteiligung des Sicherheits- und Ordnungsdienstes ist insbesondere erforderlich bei Gefangenen,

 

- gegen die besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet sind,

- die der organisierten Kriminalität zuzuordnen sind oder

- bei denen Hinweise auf ein anhängiges Ermittlungs- oder weiteres Strafverfahren vorliegen.

 

Bei Gefangenen, über die Erkenntnisse vorliegen, dass sie der organisierten Kriminalität zuzurechnen sind, sind gegebenenfalls die zuständigen Behörden (insbesondere Staatsanwaltschaft, Polizeidienststellen, Landeskriminalamt) zur Einschätzung des kriminellen Hintergrundes und der aktuellen Situation zu beteiligen. 

 

Gegenstand und Stand eines anhängigen Ermittlungs- oder Strafverfahrens sind durch Anfrage bei der zuständigen Behörde festzustellen und aktenkundig zu machen.

 

2.5

Soweit im Einzelfall erforderlich, sind Beteiligungen weiterer Dienste (z.B. Medizinischer Dienst, Pädagogischer Dienst, Seelsorge, Suchtberatung, Werkdienst) oder externer Stellen (z.B. Voranstalt, Staatsanwaltschaft, Ausländerbehörde, Ambulanter Sozialer Dienst, etc.) vorzusehen.

 

III. Dokumentation

 

Die Ergebnisse der Eingangsdiagnostik werden - möglichst unter Nutzung der dafür vorgesehenen IT-Fachanwendungen - dokumentiert; insoweit gelten die in den Fachdienstrichtlinien niedergelegten Grundsätze. Als Ergebnis sind Vorschläge für Behandlungsziele und Behandlungsempfehlungen zu benennen. Die Behandlungsziele sollen positiv und ressourcenorientiert formuliert sein. Eventuell sind mit Blick auf eine eingeschränkte Therapiefähigkeit zunächst Zwischenziele zu formulieren.

 

IV. Abweichung vom Vollstreckungsplan („Zuweisungs-Check“)

 

Im Rahmen der Behandlungsuntersuchung wird auf der Grundlage der in der Diagnostik gewonnenen Erkenntnisse auch geprüft, ob - abweichend vom Vollstreckungsplan - die Behandlung während des Vollzuges oder die Eingliederung nach der Entlassung ausnahmsweise durch eine Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt insbesondere mit einem der nachfolgend aufgeführten Behandlungsangebote besser gefördert werden kann:

 

- Sozialtherapie,

- Jungtätervollzug,

- Abteilung für Lebensältere,

- Schwerpunktanstalt Familie,

- Schulische und berufliche Förderung / berufserhaltender Arbeitseinsatz.

 

Unter den Voraussetzungen des § 11 Absatz 1 Nr. 1 StVollzG NRW können Gefangene im Einvernehmen mit der aufnehmenden Justizvollzugsanstalt (§ 26 Absatz 2 Satz 1 Strafvollstreckungsordnung) in eine Anstalt mit entsprechendem Behandlungsangebot verlegt werden.

 

Im geschlossenen Vollzug erstreckt sich der Zuweisungs-Check auch auf die Frage, ob eine Unterbringung im offenen Vollzug verantwortet werden kann. Soweit eine Verlegung in eine Einrichtung des offenen Vollzuges in Betracht gezogen wird, finden die „Richtlinien betreffend die Verlegung in den offenen Vollzug und vollzugsöffnende Maßnahmen“ (4511 - IV.19) sowie die „Konzeption zur Qualitätssicherung der Entscheidungen über die Verlegung in den offenen Vollzug und die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen (Erwachsenenvollzug)“ (4511 - IV.19) Anwendung.

 

V. Dauer

 

1.

Die Eingangsdiagnostik schließt sich unmittelbar an das Aufnahmeverfahren an und beginnt spätestens mit der Komplettierung der Akten (Urteil, Gutachten, BZR-Auszug, etc.). Auf eine beschleunigte Übersendung fehlender Entscheidungsgrundlagen anderer Behörden ist hinzuwirken.

 

2.

Die Eingangsdiagnostik ist innerhalb der ersten 10 Wochen nach Komplettierung der Akten abzuschließen. Zeitliche Verzögerungen sind schriftlich zu begründen und zu dokumentieren.

 

VI. Inkrafttreten

 

Diese RV tritt mit sofortiger Wirkung in Kraft.