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Absehen von der Vollstreckung bei Auslieferung
und Ausweisung (§ 456 a StPO)
RV d. JM vom 20. August 1985 (9174 - III A. 2)

In Strafverfahren gegen ausländische Staatsangehörige, deren Auslieferung an eine ausländische Regierung bewilligt worden ist oder deren Ausweisung verfügt ist, geben §§ 154 b, 456 a StPO die Möglichkeit, von der Erhebung der öffentlichen Klage oder von der Strafvollstreckung abzusehen. Bei der Anwendung. dieser Vorschriften ist darauf zu achten, dass die allgemeinen Ziele des Strafrechts nicht in unvertretbarer Weise beeinträchtigt werden. Das gilt vor allem für Tätergruppen, bei denen das öffentliche Interesse eine nachhaltige Strafverfolgung und Strafvollstreckung gebietet (z. B. gefährliche Rauschgifttäter mit internationalen Beziehungen). Andererseits zwingt die anhaltend starke Belegung der Justizvollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen dazu, alle vertretbaren Möglichkeiten auszuschöpfen, die geeignet sind, den Belegungsdruck in den Justizvollzugsanstalten zu mindern. Hierzu gehört eine verstärkte Anwendung des § 456 a StPO, wobei die besondere Situation ausländischer Strafgefangener zu berücksichtigen ist, die wegen bestehender Sprachebarrieren und ihrer Herkunft aus anderen Kulturkreisen an vielen Erziehungs- und Freizeitprogrammen nicht teilnehmen können und von Vollzugslockerungen und Urlaub oftmals ausgeschlossen sind.

I.

Bei der Anwendung des § 456 a StPO ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

1.
Zum Zeitpunkt der Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe ist in der Regel von der weiteren Vollstreckung abzusehen.

2.
Von der (weiteren) Vollstreckung einer zeitigen Freiheitsstrafe kann völlig oder aber vor Verbüßung der Hälfte abgesehen werden, wenn neben der Verurteilung eine in dem Verfahren erlittene Freiheitsentziehung, die Auslieferung oder die Ausweisung zur Einwirkung auf den Verurteilten und zur Verteidigung der Rechtsordnung  ausreichend erscheint. Dabei ist auch eine etwa zu erwartende weitere Bestrafung des Verurteilten in seinem Heimatland mit zu berücksichtigen.

3.
Eine über den Halbstrafenzeitpunkt hinausgehende Vollstreckung kommt nur in Betracht, wenn dies aus besonderen, in der Tat oder in der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar geboten ist.

4.
Die vorstehenden Bestimmungen gelten auch, wenn eine Ersatzfreiheitsstrafe oder eine Jugendstrafe zu vollstrecken ist. Bei Jugendstrafen ist zudem zu berücksichtigen, ob das Erziehungsziel bereits erreicht ist oder noch erreicht werden kann. Bei Jugendstrafen von unbestimmter Dauer muss die Hälfte der Mindeststrafe, zumindest aber ein Jahr verbüßt sein.

5.
Bei Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen kommt ein Absehen von der weiteren Vollstreckung in der Regel nicht vor Verbüßung von 10 Jahren in Betracht.

(Fn 1)

II.


Bezüglich des Verfahrens bei der Anwendung des § 456 a StPO wird auf folgendes hingewiesen:

1.
Die Vollstreckungsbehörde prüft von Amts wegen

a)
bei Einleitung der Vollstreckung,

b)
zum Halbstrafenzeitpunkt,:

c)
zum Zweidrittel-Zeitpunkt

ob von der (weiteren) Vollstreckung abgesehen werden kann. Die Entscheidung ist so rechtzeitig zu treffen, dass ggf. die zur Entlassung, Auslieferung oder Ausweisung notwendigen Vorbereitungen der Justizvollzugsanstalt und der Ausländerbehörde fristgemäß in die Wege geleitet werden können. Die Entscheidung soll im übrigen so rechtzeitig getroffen werden, dass sich eine sonst von Amts wegen gebotene Prüfung nach § 57 Abs. 1 StGB erübrigt.

2.
Die Leiter der Justizvollzugsanstalten sprechen bei der Ausländerbehörde umgehend die Frage der Ausweisung an und unterrichten die Vollstreckungsbehörde unverzüglich über das Vorliegen einer vollziehbaren Ausweisungsverfügung.

3.
Nr. 42 MiStra ist zu beachten.

4.
Das Absehen von der Vollstreckung teilt die Vollstreckungsbehörde der zuständigen Ausländerbehörde alsbald mit (§ 17 Abs. 1 Satz 2 StVollstrO). Diese ist über die noch zu vollstreckende Strafe (den noch zu vollstreckenden Strafrest) und über den Zeitpunkt des Eintritts der Vollstreckungsverjährung zu unterrichten. Die Ausländerbehörde ist außerdem zu bitten, die Vollstreckungsbehörde zu verständigen, falls ihr bis zum Eintritt der Vollstreckungsverjährung bekannt wird, dass sich der Verurteilte erneut im Geltungsbereich der Strafprozessordnung aufhält. Die Vollstreckungsbehörde bestimmt in ihrer Verfügung als Zeitpunkt, zu dem das Absehen von der Vollstreckung wirksam werden soll, den Zeitpunkt der Übergabe des Verurteilten an die mit der Abschiebung betraute Behörde. Von der Angabe eines kalendermäßig bestimmten Zeitpunktes für das Ende der Strafvollstreckung ist in solchen Fällen abzusehen.

5.
Wird von der Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach § 456 a Abs. 1 StPO nicht abgesehen, so unterrichtet die Vollstreckungsbehörde, wenn die Staatsanwaltschaft die Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StPO befürwortet oder beantragt, die zuständige Ausländerbehörde unverzüglich über den in Betracht kommenden Entlassungszeitpunkt, damit die Ausländerbehörde in die Lage versetzt wird, die Abschiebung des Verurteilten ordnungsgemäß vorzubereiten und durchzuführen.

6.
Wird von der (weiteren) Vollstreckung abgesehen, ergreift die Vollstreckungsbehörde geeignete Maßnahmen, damit bei einer etwaigen Rückkehr des Verurteilten die Strafvollstreckung unmittelbar eingeleitet oder fortgesetzt werden kann. Auf § 17 Abs. 2 StVollstrO wird hingewiesen. (Fn 1)

7.
Soweit ein Vollstreckungshilfeersuchen nach § 71 IRG in Betracht kommt, hat dieses Vorrang, wenn es hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

8.
Über eine Entscheidung, durch die von der weiteren Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe abgesehen wird (Abschnitt 1 Nr. 5), ist mir zu berichten.

III.


Diese Rundverfügung tritt am 1. Oktober 1985 in Kraft. Die Rundverfügungen vom 16. Dezember 1968 (4300 - III A. 21), 9. November 1972 (4300 - III A. 61) und vom 29. August 1973 (4725 - III A. 8) werden aufgehoben.


Fußnoten :

   Fn1: Geändert d. RV d. JM v. 29. Oktober 1987 (9174 - III A. 2)