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Richtlinien zur Anwendung des § 31a Absatz 1 des
Betäubungsmittelgesetzes
Gemeinsamer Runderlass des Justizministeriums (4630 - III. 7 "IMA") und des Ministeriums für Inneres und Kommunales (42 - 62.15.01)
vom 19. Mai 2011 - JMBl. NRW S. 106 -

I.


Vorbemerkung

Nach § 31a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) kann die Staatsanwaltschaft ohne Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung eines Vergehens nach § 29 Abs. 1, 2 oder 4 BtMG absehen, wenn "die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt."

In seiner so genannten Cannabis-Entscheidung vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 (NJW 1994 S. 1577) - hat das Bundesverfassungsgericht den Bund und die Länder aufgefordert, für eine im Wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften bei der Anwendung des § 31a BtMG zu sorgen.

Die nachfolgenden Hinweise tragen diesem Auftrag Rechnung und berücksichtigen sowohl den Umstand, dass einerseits Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz kriminelles Unrecht darstellen und aus Gründen des Legalitätsprinzips ( § 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung [StPO]) eine konsequente Strafverfolgung notwendig machen, andererseits § 31a BtMG den Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit eröffnet, differenziert auf Drogendelinquenz zu reagieren, um den Betäubungsmittelhandel (einschließlich des Klein- und Straßenhandels) von den nicht Handel treibenden Rauschgiftkonsumenten in der justiziellen Reaktion abzugrenzen.

Damit werden die Ziele verfolgt,

a)
durch Entlastung der Staatsanwaltschaft und der Polizei bei Erwerb oder Besitz geringer Mengen zum Eigenverbrauch die Möglichkeit zu eröffnen, die Ressourcen auf die Bekämpfung des Betäubungsmittelhandels zu konzentrieren, und

b)
dadurch zugleich der Pönalisierung des therapiebedürftigen Betäubungsmittelkonsumenten durch die Strafverfolgung zu begegnen.

II.


Hinweise zur Anwendung des § 31a BtMG durch die Staatsanwaltschaften

1.

Geringe Menge zum Eigenverbrauch

Bezieht sich die Tat auf den Umgang mit unerlaubten Betäubungsmitteln ausschließlich zum Eigenverbrauch und verursacht die Tat keine Fremdgefährdung, so kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung des Vergehens gemäß § 31a BtMG absehen, soweit die nachfolgend aufgeführten Mengen nicht überschritten werden:

1. Cannabisprodukte
    (Haschisch, Marihuana und Blütenstände, ohne Haschischöl): 10 Gramm
2. Heroin: 0,5 Gramm
3. Kokain: 0,5 Gramm
4. Amfetamin: 0,5 Gramm.

Bei anderen unerlaubten Betäubungsmitteln kann eine geringe Menge in der Regel dann nicht angenommen werden, wenn sie mehr als 3 Konsumeinheiten ausmacht.

Die vorstehenden Mengenangaben der auf der untersten Handelsebene vertriebenen Kleinmengen können nur Richtwerte für die Feststellung einer noch als gering anzusehenden Menge darstellen. Liegen daher entgegenstehende Anhaltspunkte zum Reinheitsgehalt des vorgefundenen Gemisches vor, kann eine höhere oder niedrigere Menge des Gemisches die Grenze bilden.

Für eine Anwendung der Vorschrift ist - auch bei Auffinden von geringeren als den vorstehend aufgeführten Mengen - kein Raum, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein Handeltreiben mit oder die Abgabe von Betäubungsmitteln vorliegen. Hierfür kann das wiederholte Antreffen mit unerlaubten Betäubungsmitteln ein Anhaltspunkt sein.

2.
Geringe Schuld


Die Annahme einer geringen Schuld stellt - unter Beachtung der zu § 153 StPO entwickelten Kriterien - eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage einer Gesamtbewertung aller die Tat und die Täterpersönlichkeit betreffenden Einzelumstände dar.


Eine geringe Schuld im Sinne des § 31a BtMG kann grundsätzlich angenommen werden, wenn eine Betäubungsmittelabhängigkeit nicht auszuschließen ist. Eine Verurteilung wegen Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz oder die Begehung der Tat während einer laufenden Bewährungszeit muss der Annahme der geringen Schuld nicht entgegenstehen.

Bei nicht betäubungsmittelabhängigen Tätern kann eine geringe Schuld in der Regel bei Erst- und Zweittätern angenommen werden, während bei wiederholtem Antreffen mit unerlaubten Betäubungsmitteln eine Einstellung nach § 31a BtMG nur im Einzelfall - etwa bei Vorliegen eines größeren Tatzwischenraumes - in Betracht kommt.

Die Anwendung des § 31a BtMG unter dem Gesichtspunkt der geringen Schuld kommt auch in Betracht, wenn der Täter betäubungsmittelabhängig ist und mehrfach wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgefallen ist oder auffällt.

Bei der Entscheidung über die Anwendung des § 31a BtMG ist bei dem in Betracht stehenden Personenkreis - eventuell in Zusammenarbeit mit der Drogenberatung und den Therapieeinrichtungen - vornehmlich auf die Persönlichkeit des Täters, sein Suchtverhalten und seine Therapiewilligkeit abzustellen. Dabei können die persönlichen und sozialen Verhältnisse des Täters, die ernsthafte Therapiebereitschaft oder die Rückfallgeschwindigkeit von Bedeutung sein.


3.
Öffentliches Interesse an der Strafverfolgung


Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht in Anlehnung an die in Nummer 86 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren niedergelegten Grundsätze in der Regel, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des von der Tat Betroffenen hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist. Dies ist bei besonders sozialschädlichem Verhalten des Täters anzunehmen, so insbesondere wenn

* Betäubungsmittel in einer Weise gebraucht werden, die eine Verführungswirkung auf nicht abhängige Jugendliche und Heranwachsende haben kann oder sonst eine Fremdgefährdung bedeutet,

* Betäubungsmittel in der Öffentlichkeit ostentativ vor besonders schutzbedürftigen Personen (z. B. Kindern und Jugendlichen) und vor oder in Einrichtungen, die von diesem Personenkreis genutzt werden (insbesondere Kindertagesstätten, Kindergärten, Spielplätzen, Schulen, Jugendheimen, Jugendwohnungen oder Bahnhöfen), erworben oder konsumiert werden,

* die Handlung durch Personen begangen wird, welche in diesen Einrichtungen tätig oder mit dem Vollzug des Betäubungsmittelgesetzes beauftragt sind,

* die Tat nachteilige Auswirkungen auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs befürchten lässt oder

* die Tat in Justiz- oder Maßregelvollzugsanstalten oder Kasernen begangen wird.

Bei Konsumverhaltensweisen von Gefangenen gebietet das öffentliche Interesse zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung in den Vollzugsanstalten in der Regel eine Strafverfolgung. Da andererseits im Rahmen der Behandlung von Drogenabhängigen auch in einer Justizvollzugsanstalt mit Rückfällen gerechnet werden muss und das Behandlungskonzept in Frage gestellt sein kann, wenn jeder - einmalige - Rückfall eine Bestrafung nach sich zieht, kommt hier eine Einstellung nur nach Lage des Einzelfalles in enger Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft mit dem Vollzug in Betracht.


4.
Jugendliche und heranwachsende Beschuldigte


Bei Jugendlichen und nach Jugendstrafrecht zu behandelnden Heranwachsenden stehen Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz, insbesondere gemäß §§ 45, 47 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG), im Vordergrund, die dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts unter Berücksichtigung der Persönlichkeit und der Entwicklung junger Menschen Rechnung tragen. Wegen der besonderen Gesundheitsgefahren und des Erziehungsgedankens kommt eine Einstellung wegen einer geringen Menge in der Regel nur gegen Auflagen im Sinne des § 45 Absatz 2 JGG in Betracht.

Auf die Richtlinien zur Förderung der Diversion im Jugendstrafverfahren - Diversionsrichtlinien - (Gem. RdErl. d. Justizministeriums - 4210 - III. 79 -, des Innenministeriums - 42 - 6591/2.4 -, des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder - 322-6.08.08.04 - 7863 - und des Ministeriums für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie - III 2 - 1122 - vom 13. Juli 2004 - JMBl. NRW S. 190 -) wird hingewiesen.


III.


Hinweise zur Gestaltung des Ermittlungsverfahrens

Die Polizei führt in den Fällen, in denen nach den vorstehenden Gesichtspunkten eine Einstellung des Verfahrens nach § 31a BtMG in Betracht kommt, eine Wägung des Betäubungsmittels und einen Vortest durch und vernimmt die beschuldigte Person kurz zur Konsumverhaltensweise und zur Herkunft des Betäubungsmittels oder gibt ihr in geeigneten Fällen Gelegenheit zu einer schriftlichen Äußerung. Bei der Wägung genügt in der Regel eine so genannte "Bruttowägung", soweit nicht erkennbar ein Missverhältnis zwischen Verpackungs- und Betäubungsmittelgewicht besteht. Sie stellt das Betäubungsmittel sowie die Konsumutensilien sicher, führt eine Erklärung über die Einziehung sichergestellter Gegenstände, insbesondere die Betäubungsmittel und die Konsumutensilien, herbei und übersendet den Vorgang mit der Strafanzeige unverzüglich der Staatsanwaltschaft. Auf Zeugenvernehmungen und weitere Ermittlungsmaßnahmen, auch weitergehende kriminaltechnische Untersuchungen, kann, soweit die Staatsanwaltschaft nicht etwas anderes anordnet, verzichtet werden. Bei Abgabe des Ermittlungsvorgangs an die Staatsanwaltschaft kann die Polizei eine Anwendung dieser Richtlinien anregen, soweit sie aufgrund ihrer Erkenntnisse den Eindruck gewonnen hat, dass sich eine Verfahrenserledigung auf diesem Wege anbietet.

IV.


Einbeziehung der sozialen Dienste

Die Staatsanwaltschaft prüft in geeigneten Fällen unter Einschaltung der Gerichtshilfe oder der Jugendgerichtshilfe, ob Maßnahmen der Beratung, Therapie oder sonstigen sozialen Stabilisierung angezeigt sind.


V.


In-Kraft-Treten

Dieser Gem. RdErl. tritt mit Wirkung vom 1. Juni 2011 an die Stelle der "Richtlinien zur Anwendung des § 31a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes - Gemeinsamer Runderlass des Justizministeriums - 4630 - III.7 "IMA" - und des Innenministeriums - 42 - 62.15.01 - vom 13. August 2007" - JMBl. NRW S. 206 -.

Die vorstehenden Richtlinien ergehen im Einvernehmen mit dem Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen.