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Justizverwaltungs­vorschriften-Online

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Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs bei Erwachsenen
Gem. RdErl. des Ministerium der Justiz (4450 - III. A 10)
und des Ministeriums des Innern (IV D - 2902) vom 1. Juni 2000
- JMBl. NRW S. 158 -
in der Fassung vom 13. November 2020 (4450 - III. 10)
- JMBl. NRW S. 331 -


 

Vorbemerkung

Der Täter-Opfer-Ausgleich soll den durch eine Straftat gestörten Rechtsfrieden zwischen dem Beschuldigten und dem Geschädigten wieder herstellen.

 

Ziel ist es, auf außergerichtlichem Weg eine von beiden Seiten akzeptierte Lösung zur Beseitigung oder wenigstens Milderung der mit der Straftat verbundenen Folgen zu finden und dem Beschuldigten die Folgen seiner Tat für das Opfer zu verdeutlichen. Dem Geschädigten kann überdies ein Zivilrechtsstreit oder eine Vernehmung als Zeuge erspart werden.

 

Die Initiative für einen Täter-Opfer-Ausgleich kann von dem Beschuldigten, dem Geschädigten und von Amts wegen erfolgen.

 

Die Ausgleichsleistungen des Täters können finanzieller oder kompensatorischer Art sein.

 

Ein erfolgreich durchgeführter Täter-Opfer-Ausgleich kann zur Einstellung des Verfahrens gemäß § 153a Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 der Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 12. Juni 2020 (BGBl. I S. 1247) geändert worden ist, oder § 153a Absatz 2 in Verbindung mit § 153a Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 der Strafprozessordnung führen oder dem Gericht eine Strafmilderung oder das Absehen von Strafe ermöglichen. (Fn 1)

 

1. Rechtliche Grundlagen

Rechtliche Grundlagen für die Berücksichtigung des Täter-Opfer-Ausgleichs sind bei Erwachsenen § 46 Absatz 2 Satz 2, § 46a, § 56 Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. März 2020 (BGBl. I S. 431) geändert worden ist, § 153a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 und Nummer 5, Absatz 2 Satz 1, § 153b, § 155a, § 155b, § 376 der Strafprozessordnung, vgl. ferner §§ 27 bis 30 der Gnadenordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. November 1975 (GV. NRW. 1976 S. 16), die zuletzt durch Allgemeinverfügung vom 9. Juli 1982 (GV. NRW. S. 514) geändert worden ist. (Fn 1)

 

2. Anwendungsbereich

2.1
Ein Täter-Opfer-Ausgleich kommt bei immateriellen und materiellen Schäden in Betracht, und zwar auch in Fällen, in denen es beim Versuch verblieben ist. Beim Opfer muss in der Regel ein noch regelungsbedürftiger Schaden vorliegen. Soweit ein materieller Schadensersatz angezeigt ist, ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Beschuldigten angemessen zu berücksichtigen.

2.2

Ein Täter-Opfer-Ausgleich bei erwachsenen Beschuldigten kommt grundsätzlich bei allen Delikten, insbesondere aber bei Straftaten in Betracht, die mit der Verletzung der Ehre, der körperlichen Unversehrtheit, des Eigentums, des Vermögens, des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs oder der Freiheit einhergehen.

 

Sofern Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dem Delikt langjährige, verfestigte Konflikte zugrunde liegen oder unausgeglichene Machtverhältnisse zwischen dem Beschuldigten und dem Geschädigten bestehen, ist die Eignung des Verfahrens für einen Täter-Opfer-Ausgleich besonders zu prüfen. Insbesondere in Fällen von Konflikten im Nahbereich ist das Augenmerk darauf zu richten, dass ein Täter-Opfer-Ausgleich beim Geschädigten weder den Eindruck einer Bagatellisierung der Taten erweckt noch er sich zu einer Teilnahme gedrängt fühlt. Sekundärviktimisierungen oder Traumatisierungen sind zu vermeiden.

 

Ein erfolgreich durchgeführter Täter-Opfer-Ausgleich kann nur bei Vergehen zu einer Einstellung des Verfahrens nach § 153a Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 der Strafprozessordnung oder § 153a Absatz 2 in Verbindung mit § 153a Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 der Strafprozessordnung führen. Sofern dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird, kann ein Täter-Opfer-Ausgleich nach § 46a des Strafgesetzbuches allein im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden. (Fn 1)

2.3
Das Bemühen um einen Täter-Opfer-Ausgleich darf nicht zu einer Einschränkung der Unschuldsvermutung und von Verteidigungsrechten der Beschuldigten führen. Der Täter-Opfer-Ausgleich setzt (Fn 1) voraus, dass die oder der Beschuldigte bereit ist, die Verantwortung für die Tat zu übernehmen.

2.4
Die Staatsanwaltschaft prüft vorrangig, ob das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO  oder nach § 153 StPO einzustellen ist.

2.5 (Fn 1)
Voraussetzung für die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs ist, dass Beschuldigte und Geschädigte (Fn 1) zu einem Ausgleich auf freiwilliger Basis bereit sind. Bei minderjährigen Geschädigten (Fn 1) ist auch die Zustimmung der Personensorgeberechtigten erforderlich.

2.6 (Fn 1)
Vorstrafen oder ein bereits in früheren Verfahren versuchter Ausgleich schließen einen erneuten Ausgleich nicht von vornherein aus. Bei der Entscheidung über den (erneuten) Versuch eines Täter-Opfer-Ausgleichs sind die Vorstrafen des Beschuldigten und bereits erfolgte Ausgleichsversuche insbesondere im Hinblick auf eine Gleichartigkeit oder ein ähnliches Verhaltensmuster in Bezug auf die neue Tat zu prüfen und sodann in einer Gesamtbetrachtung mit den Erfolgsaussichten eines erneuten Ausgleichs und der Prävention abzuwägen. (Fn 1)

 

3. Ausgleichsstellen

3.1
Das Bemühen um einen Täter-Opfer-Ausgleich obliegt bei Erwachsenen in erster Linie den Beschuldigten selbst. Um den Kontakt zwischen Beschuldigten (Fn 1) und Geschädigten (Fn 1) herzustellen und den Ausgleich vorzubereiten, können sich die Beteiligten an eine Ausgleichsstelle wenden.

3.2
Als Ausgleichsstelle für Erwachsene können je nach den Umständen namentlich in Betracht kommen

a) der ambulante Soziale Dienst der Justiz, (Fn 1)
b) (Fn 1) der Soziale Dienst des Strafvollzuges bei Inhaftierten,
c) (Fn 1) Schiedspersonen nach dem Schiedssamtsgesetz (SchAG NW) vom 16.12.1992 sowie
d) (Fn 1) Einrichtungen von Trägern der freien Wohlfahrtspflege. (Fn 1)

3.3
Für einen Täter-Opfer-Ausgleich ist in allen geeigneten Fällen die persönliche Begegnung zwischen Täter und Opfer anzustreben. Neben dem immateriellen Ausgleich (Reue, Verständnis, Versöhnung) soll eine - wenn möglich abschließende - materielle Wiedergutmachung erreicht werden. Dabei sind Ratenzahlungen und - bei fehlenden Mitteln - auch Arbeitsleistungen in Betracht zu ziehen.

 

4. Verfahren

4.1

Zu Beginn der Ermittlungen klärt die Polizei, ob zwischen den Beteiligten ein Ausgleich bereits stattgefunden hat oder angebahnt ist. Das Ergebnis ist aktenkundig zu machen. Gewinnt die Polizei den Eindruck, dass sich ein Täter Opfer-Ausgleich anbietet, so klärt sie die Bereitschaft des Beschuldigten und des Geschädigten zur Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs und zur Einstellung des Verfahrens ab und dokumentiert deren Zustimmung.

 

Den Beteiligten händigt sie ein Merkblatt zum Täter-Opfer-Ausgleich aus (Muster siehe Anlage).

 

Sodann regt sie einen Täter-Opfer-Ausgleich gegenüber der Staatsanwaltschaft an.

4.2
Die Entscheidung, ob ein Täter-Opfer-Ausgleich versucht werden soll, trifft die Staatsanwaltschaft in jedem (Fn 1) Stadium des Verfahrens. Dabei sollen Anregungen der Polizei oder anderer Stellen berücksichtigt werden. Zur Vorbereitung ihrer Entscheidung kann sich die Staatsanwaltschaft auch des ambulanten Sozialen Dienstes der Justiz (Fn 1) bedienen.

4.3

Hält die Staatsanwaltschaft die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs mit dem Ziel der Einstellung eines Ermittlungsverfahrens nach § 153a Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 der Strafprozessordnung für angezeigt, holt sie bei Vergehen, die mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht sind und bei denen die durch die Tat verursachten Folgen nicht gering sind, die Zustimmung des Gerichts zu einer vorläufigen Einstellung nach § 153a der Strafprozessordnung ein.

 

Ist die gerichtliche Zustimmung erteilt oder nicht erforderlich und hat der Beschuldigte einer Einstellung des Verfahrens nach § 153a der Strafprozessordnung im Hinblick auf einen Täter-Opfer-Ausgleich bereits zugestimmt (zu vergleichen Nummer 4.1), stellt sie das Verfahren vorläufig ein und beauftragt die Ausgleichsstelle mit der Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs.

 

Sind von der oder dem Beschuldigten bestimmte (Mindest-) Leistungen zur Wiedergutmachung zu erbringen, vermerkt die Staatsanwaltschaft dies in der Zuschrift an die Ausgleichsstelle.

 

In Fällen, in denen die Zustimmung des Beschuldigten und beziehungsweise oder des Gerichts noch aussteht oder in denen ein Täter-Opfer-Ausgleich mit dem Ziel der Strafmilderung in Betracht gezogen wird, beauftragt die Staatsanwaltschaft eine Ausgleichstelle zunächst allein mit der Klärung der Ausgleichsbereitschaft der Beteiligten. (Fn 1)

4.4
Zur Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs beziehungsweise Klärung der Ausgleichsbereitschaft übermittelt die Staatsanwaltschaft der Ausgleichsstelle Namen und Anschrift der oder des Beschuldigten und des Opfers sowie die Akten oder zumindest alle erforderlichen Angaben zum Sachverhalt und setzt ihr eine angemessene Frist. (Fn 1)

4.5
Werden Beteiligte von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwältin vertreten, so sind diese rechtzeitig über den beabsichtigten Ausgleich zu unterrichten. Dies kann auch durch die Ausgleichsstelle geschehen.

4.6

Die Ausgleichsstelle nimmt unverzüglich Kontakt zu den Beteiligten auf und klärt, sofern ihr Einverständnis, insbesondere das des Verletzten, noch nicht vorliegt, deren Bereitschaft zur Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs.

 

Nach Feststellung des Einverständnisses aller Beteiligten zur Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs beginnt die Ausgleichsstelle in Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft vorläufig von der Verfolgung nach § 153a Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 der Strafprozessordnung abgesehen hat, mit den Ausgleichsbemühungen. 

 

Sofern sich abzeichnet, dass die Ausgleichsbemühungen innerhalb der von der Staatsanwaltschaft gesetzten Frist nicht abgeschlossen sein werden, übersendet die Ausgleichsstelle der Staatsanwaltschaft vor Ablauf der gesetzten Frist einen inhaltlichen Zwischenbericht unter Mitteilung der bisher erzielten Ergebnisse und voraussichtlichen Dauer der Ausgleichsbemühungen.

 

In den anderen Fällen mit dem Ziel der Einstellung des Verfahrens nach § 153a Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 der Strafprozessordnung setzt sie die Staatsanwaltschaft über die Bereitschaft der Beteiligten zur Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs in Kenntnis und übersendet dieser einen Ausgleichsvorschlag.

 

Sofern der Täter-Opfer-Ausgleich allein im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden soll, beginnt die Ausgleichsstelle nach Feststellung der Ausgleichsbereitschaft direkt mit den Ausgleichsverhandlungen. (Fn 1)

4.7
In Fällen, in denen eine vorläufige Einstellung des Verfahrens vor Einschaltung der Ausgleichsstelle mangels Zustimmung des beziehungsweise der Beschuldigten noch nicht erfolgen konnte, entscheidet die Staatsanwaltschaft über die vorläufige Einstellung des Verfahrens nach Erhalt der Mitteilung über die Ausgleichsbereitschaft des beziehungsweise der Beschuldigten (zu vergleichen Nummer 4.6) und setzt der Ausgleichstelle für die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs eine angemessene Frist. (Fn 1)

4.8 (Fn 1)
Nach Abschluss ihrer Tätigkeit berichtet die Ausgleichsstelle der Staatsanwaltschaft schriftlich über die Ausgleichsbemühungen und deren Ergebnis, insbesondere über den Umfang der Ausgleichsleistung.

4.9 (Fn 1)
Ist der Täter-Opfer-Ausgleich zustande gekommen, hat die oder der Beschuldigte die Ausgleichsleistung erbracht und sind weitergehende Maßnahmen nicht angezeigt, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren endgültig ein.

Als Erfolg kann auch das nachweislich ernsthafte Bestreben um die Wiedergutmachung der Tat gewertet werden.

4.10 (Fn 1)
Kommt eine Einstellung des Verfahrens nicht in Betracht, weil nach Auffassung der Staatsanwaltschaft weitergehende Maßnahmen angezeigt sind oder der Täter-Opfer-Ausgleich scheitert, nimmt die Staatsanwaltschaft das Verfahren wieder auf und sorgt für dessen zügigen Fortgang. Dabei berücksichtigt die Staatsanwaltschaft im weiteren Verfahren jedes ernsthaft auf Wiedergutmachung und Schadensausgleich gerichtete Verhalten nach der Tat entsprechend dem Rechtsgedanken der §§ 46 Abs. 2 Satz 2, 46 a StGB zugunsten der oder des Beschuldigten.

 

5. Zusammenarbeit

Alle Stellen und Einrichtungen, die Aufgaben des Täter-Opfer-Ausgleichs wahrnehmen, bemühen sich um eine enge und kooperative Zusammenarbeit, damit der Täter-Oper-Ausgleich zügig und in angemessener Zeit durchgeführt werden kann.

 

6. Gnadenbehörden und Gerichte

Die vorstehenden Regelungen gelten sinngemäß für die Gnadenbehörden. Gerichte können sie anwenden.

 

7. Sonstiges

Dieser Gemeinsame Runderlass tritt mit Wirkung vom 01.06.2000 an die Stelle des Gemeinsamen Runderlasses des Justizministeriums - 4450 - III A. 10 - und des Innenministeriums - IV D 2 - 2902 vom 22.01.1998.


Fußnoten :

   Fn1: Geändert durch Gemeinsamer Runderlass des JM und IM vom 13. November 2020 (4450 - III. 10) - JMBl. NRW S. 331 -. Dieser Runderlass tritt am Tag nach der Veröffentlichung in Kraft.